Hektische Schnitte, knallbunte Farben und statische Kameraeinstellungen in der Minderheit. Zu behaupten „Natural Born Killers“ sei eine einfache Seherfahrung käme einer der größten Lügen der Filmgeschichte gleich. So überbordend die technische Herangehensweise auch sein mag, so simpel ist die aufgeworfene Ausgangsfrage: Werden Menschen böse geboren oder erst durch soziologische und kulturelle Einflüsse zu dem böshaften Individuum, das ohne Anzeichen von Empathie und Reue mordend durch die Lande zieht?

von Cliff Lina

Mickey und Mallory sind sich bei der Beantwortung auch uneins. Während er in sich die personifizierte Reinkarnation eines Dämons sieht, hadert sie mit ihren Mitmenschen und irgendwann auch mit ihrem Liebsten selbst. Dabei fing alles so schön an. Beim Aufeinandertreffen der beiden war es für ihn Liebe auf den ersten Blick, Schicksal sozusagen. Für sie war es dagegen der perfekte Zeitpunkt ihrem gewalttätigen Elternhaus zu entfliehen. Wie das Leben aber nun mal so spielt, muss auch die Beziehung einige Hürden überwinden, die sich im weiteren Verlauf nur noch mit Waffengewalt lösen lassen. Ein mörderischer Streifzug auf der Route 666 beginnt und fordert Opfer auf beiden Seiten.

Was klingt wie eine melodramatische Liebesgeschichte entwickelt sich im Fortlauf seiner zwei Stunden zu einer Mischung aus Roadtrip, Sozialstudie und kreativer Spielwiese. Besonders die erste Hälfte erschwert den Zugang durch verwackelte Bilder, überlappende Soundwände und zwei offenbar schwer kranken Persönlichkeiten, deren Miteinander irgendwo zwischen Harmonie und Toxizität pendelt. Schon innerhalb der ersten Szenen, in denen wir beispielsweise Zeuge des Kennenlernens werden, gibt der Film eine klare Marschroute vor. Während erzählerisch das zerrüttete Familienleben von Mallory aufgezeigt wird, nutzt Regisseur Oliver Stone eine sitcomartige Darstellung um komplexe Thematiken mit einer an Lächerlichkeit grenzenden Optik zu verschmelzen. Missbrauch, untermalt vom tosenden Gelächter des Publikums, das sich an der Dramatik ergötzt. Eine Medienschelte wie sie im Buche steht. Apropos Buche: das Drehbuch von „Natural Born Killers“ fußt auf eine Geschichte von Quentin Tarantino höchstselbst. Und wer in dieser Formulierung eine seltsame Fußnote erspäht hat, ist zwar noch lange kein geborener Killer, hat aber zumindest schon einen Fuß in ähnliche Genregefilde gesetzt.

Während unser Liebespaar nun also eine blutige Spur hinterlässt, entwickelt sich bei der Bevölkerung eine Art perverse Faszination, die beinahe an Verehrung grenzt. Menschen allen Ortens bewundert das Paar für ihren Zusammenhalt, ihre tollkühnen Verfolgungsjagden und den eisernen Willen der Gesellschaft den Stinkefinger zu zeigen. Doch gerade als das Paar auf dem Höhepunkt angekommen scheint, wollen sie sich zur Ruhe setzen. Ein folgenschwerer Fehler, denn die Masse giert nach mehr, was letztlich dazu führt, dass Presse und Polizei sämtliche Logik ad acta legen und den Medienstars genau die Aufmerksamkeit bieten, die beide Seiten so genießen. Was erst einmal kurios klingt und in der technischen Ausarbeitung auch immer wieder am Ertragbaren kratzt, ist letztlich jedoch auch ein präziser Blick auf das seltsame Verhältnis, das manche zur Boshaftigkeit hegen. Internationale Erfolge von True Crime Formaten sind sozusagen das heutige Pendant zur damaligen Medienpräsenz eines Charles Manson, wenn auch nicht Eins zu Eins vergleichbar. Die seelischen Abgründe waren schon immer ein Quell der Faszination, und das ist erst einmal auch gar nicht schlimm. Wenn Interesse jedoch in Glorifizierung umschlägt, einzelne Leben medial ausgeschlachtet und Existenzen für Klicks geopfert werden, ergibt sich eine unaufhaltsame Spirale, die zumeist in der Katastrophe endet. Ein Blick in die sozialen Netzwerke genügt.

Ein insgesamt äußerst vielschichtiges Thema, das „Natural Born Killers“ immer wieder mit der groben Klinge anschneidet, leider aber nie zum Filettiermesser greift um die Komplexität greifbar zu machen. Stattdessen schreien, philosophieren und liebt sich das großartige Ensemble rund um Woody Harrelson und Juliette Lewis durch die Handlung. Dass Stone durchaus ein Gespür für Details hat, beweisen die immer wieder aufgegriffene Metapher mit der Schlange oder aber auch die beinahe unscheinbaren Ohrringe von Mickey, die früh auf das natürliche Gleichgewicht hinweisen, welches Harrelson im späteren Verlauf als Begründung für sein Verhalten angeben wird. Ob beide nun als Killer geboren wurden oder letztlich doch nur das Erzeugnis einer maroden und verrottenden Gesellschaft sind – darauf kann (oder will) der Film keine eindeutige Antwort geben. Die unmissverständliche Medienkritik ist zwar der klare Fokuspunkt, im Endeffekt aber doch nur ein Glied in einer Kette. Im Grunde ist dies der einzige Punkt, der wirklich als Schwäche ausgemacht werden kann. Die oft kritisierte Stilistik ist dagegen sogar die große Stärke, da sie nicht nur gekonnt die hässliche Fratze der Berichterstattung persifliert, sondern dem Film auch ein Alleinstellungsmerkmal verschafft, das ihn noch heute aus der Masse hervorstechen lässt.

Fazit

Mordlust, genährt von medialer Massengeilheit: Oliver Stone porträtiert seine Massenmörder in „Natural Born Killers“ als gefeierte Popstars, denen das Böse im Blut liegt. Seine Ausgangsfrage beantwortet der Film zwar eher eindimensional, innerhalb seiner grobschlächtigen Inszenierung überrascht das Werk aber auch mit feinen Details. Ein heimtückischer Angriff auf das Nervensystem, der inhaltlich auch 30 Jahre später aktueller denn je ist.

Bewertung

Bewertung: 8 von 10.

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