Genau wie bei anderen großen Netflix Hits (z.B. „Stranger Things“), besteht der Reiz von „Sex Education“ aus einer Mischung des Binge-Formates und realistisch gezeichneten Figuren im ungefähren Alter der jungen Zuschauenden: Alle paar Jahre erscheint eine neue Staffel, die innerhalb eines Wochenendes geschaut werden kann und die wieder einen Einblick in das Leben liebgewonnener Menschen gibt. Dieser sonst so leichte Einstieg in eine neue Staffel wurde in den vergangenen Staffeln stets durch das bekannte Setting an der Moordale Highschool mit allen schon vertrauten Charakteren ermöglicht, fällt allerdings bei der vierten und finalen Staffel von „Sex Education“, die jetzt auf Netflix zu sehen ist, unerwartet schwer.

von Cedric Baumann

Nach der Schließung der alten Highschool mussten wir uns nämlich nicht nur vom alten Schulgebäude, sondern auch von einer Reihe bekannter Gesichter verabschieden, die den Sprung in das neue und glänzende Cavendish College nicht schafften. Stattdessen sind ZuschauerInnen, wie auch die ProtagonistInnen der Serie, von dem Besuch an der neuen Schule erstmal überfordert und müssen eine Menge neuer Namen lernen.

Als Auftakt zu der bekanntlich letzten Staffel von „Sex Education“ funktioniert dieser abrupte Wechsel leider nicht allzu gut. Ein Fokus auf die noch nicht auserzählten Dynamiken der bekannten Charakter-Konstellationen wäre hier vielleicht die bessere Wahl gewesen, als mit einem Streich eine Vielzahl unbekannter Faktoren einzuführen und alte Figuren zu streichen. Einer dieser neuen Faktoren ist beispielsweise Otis‘ (Asa Butterfield, „Hugo Cabret“) neueste Rivalin „O“ (Thaddea Graham, „Doctor Who“), die am neuen College bereits eine Sex-Klinik führt und ihm damit sein Revier streitig macht. Schade nur, dass ihr plötzliches Auftauchen zuerst mehr den Anschein einer nur aus Konfliktgründen herbeigeschriebenen Nebenfigur hat und auch die altbekannten Therapie-Sitzungen von Otis oder seiner Mutter Jean (Gillan Anderson, „Akte X“) kaum mehr stattfinden.

Selbst Fan-Favorit Adam (Connor Swindells, „Barbie“) darf im Laufe der Staffel kaum mit seinen ehemaligen (Ex-) Freunden interagieren und beendet die lang ersehnte Selbstfindung und Wiederversöhnung mit seinem Vater dafür auf eigene Faust. Die Devise dieser letzten Staffel „Sex Education“ ist also weniger Abschluss als Veränderung. Mit dieser müssen glücklicherweise aber nicht nur die Zuschauenden umgehen. So übersteht man im Laufe der Folgen die anfängliche Schockstarre gemeinsam mit den immer noch brillant geschriebenen Charakteren und kann ihnen in Echtzeit dabei zusehen, wie sie spürbare Überforderungen überwinden. Ebenso findet eine kaum merkliche Annährung an die neuen Figuren statt. Und nach einer Weile hat man sich an das neue Trio um Abbi, Roman und Aisha (Anthony Lexa, Felix Mufti & Alexandra James) oder die intrigante O gewöhnt.

Es scheint nach einigen Folgen also doch alles wieder beim Alten zu sein: Otis und Maeve (Emma Mackey, „Barbie“) haben weiterhin Probleme endlich, eine richtige Beziehung ohne Hindernisse zu führen, Aimee (Aimee Lou Wood, „Living“) bleibt durch ihre liebenswerte, aber verwirrte Art ein großartiger Comic-Relief und Eric (Ncuti Gatwa, „Barbie“) glänzt wie gewohnt in jeder Szene als charismatischster und unterhaltsamster Charakter der Serie.

Eine finale Staffel einer jeden Serie muss jedoch nicht nur gut unterhalten, sondern muss sich auch an anderen Parametern messen lassen: Sie hat stets die Aufgabe, lang verworrene dramaturgische Geflechte zu einem passenden und emotionalen Ende zu bringen. Ohne an dieser Stelle zu viel zu verraten, kann die Frage, ob „Sex Education“ ein zufriedenstellender Abschluss gelungen ist, mit einem umfassenden und ausdrücklichen Ja beantwortet werden.

Fazit

Als krönender Abschluss einer vielen über die Jahre ans Herz gewachsenen Serie schwankt die vierte Staffel von „Sex Education“ anfänglich zwar etwas, schafft es aber durch eine Besinnung auf die großartigen Charaktere, sich schnell wieder zu fangen. Die Auserzählung der Geschichte rund um die Sex-Therapeuten und ihre eigenen Beziehungsprobleme gelingt ohne flache Klischees und führt zu einem emotionalen Abschied – und dem Drang, mit dem „Bingen“ gleich wieder von vorne beginnen zu wollen.

Bewertung

Bewertung: 8 von 10.

80/100

Bilder: © 2023, Netflix Inc.