Nicht nur die Kinoprogramme passen sich der Herbstsaison an – auch Netflix veröffentlicht in freudiger Erwartung auf Halloween eine neue Spuk-Serie und gibt wieder mal dem beliebten Horror-Regisseur Mike Flanagan die Zügel in die Hand. Inspiriert von Edgar Allan Poes‘ schaurigen Kurzgeschichten holt „The Fall of the House of Usher“ den American Gothic in die heutige Zeit und liefert ein Familiendrama der ganz besonderen Art.

von Natascha Jurácsik

Roderick (Bruce Greenwood) und Madeline Usher (Mary McDonnell) sind Geschwister, die sich nach einer schweren Kindheit zusammen ein millionenschweres Imperium aufbauen. Doch die Leichen in ihrem Keller, die sich auf ihrem Weg zum Ruhm ansammeln, lassen ihnen keine Ruhe und bald müssen die Erben dafür büßen, bis einer nach dem anderen auf qualvolle Weise stirbt.

Poe-Fans werden viel Gefallen daran finden alle Hinweise auf seine Werke innerhalb der acht Folgen entdecken zu können – einige sind recht offensichtlich, andere etwas subtiler. Die Umsetzung ist für so ein ambitioniertes Projekt erstaunlich gut gelungen, was größtenteils an Flanagans Talent für interessante Figuren und spannungsreiche Handlungsstränge liegt. Die Aufarbeitung des Originalstoffes findet grob gesehen auf zwei Ebenen statt: Figuren, Plots und andere Elemente unterschiedlicher Geschichten werden zu einer zusammenhängenden Story kombiniert, welche wiederum in die heutige Zeit übersetzt wird. In beiden Punkten kann Flanagans Versuch als erfolgreich betrachtet werden, da das Drehbuch zusammenhängend und nachvollziehbar ist, obwohl es in seiner Zusammensetzung Frankensteins Monster ähnelt und eine Vielzahl an Details unterbringen muss. Dabei gehen auch die Charakterisierungen der Figuren kein bisschen unter: Jedes Familienmitglied des Hauses Usher – bis auf wenige Ausnahmen – ist auf seine bzw. ihre ganz eigene Weise verwerflich und obwohl die Geschichte dem modernen Trend folgt reiche Menschen als Bösewichte darzustellen, gibt sich Flanagan Mühe dem Publikum zu beweisen, dass diese Leute ihr gewaltsames Ende verdienen.

Optisch erinnert die Serie eindeutig an seinen typischen auf hochglanzpolierten Look, wenngleich die Ästhetik weniger düster ist als seinen anderen Netflix-Projekte. Statt von Nebel umgebenen, alten Gebäuden spielt sich das Geschehen inmitten von Luxus und modernem Komfort ab, wobei jedes Set-Design wirkt wie aus einem Beitrag der neuen Ausgabe von Architectural Digest. Die einzelnen Wohnbereiche der Figuren lassen zwar eindeutig erkennen welcher Persönlichkeit der Bereich gehört, weisen jedoch stets eine gewisse Kälte auf, die die Teilnahmslosigkeit der Hausbewohner widerspiegelt. Das Setting schafft hier eine Welt, die vor weltlichem Besitz strotzt, aber dennoch auf ganz grundlegende Weise leer ist. Hierdurch fehlt die typische Gothic-Optik, die man mit Poe in Verbindung bringt, die Essenz seiner Geschichten bleibt aber bestehen: Unsympathische Charaktere, die in einer trostlosen Welt leben und schließlich an ihren eigenen Schwächen scheitern. Die Todesszenen der einzelnen Usher-Namensträger sind dafür wahre Highlights und unterbrechen die sich langsam aufbauende Spannung mit Momenten der Brutalität.

Schauspielerisch ist es wohl keine Überraschung, dass Flanagans Favoriten wieder einmal Glanzarbeit leisten. Besonders Bruce Greenwood beansprucht in all seinen Szenen jegliche Aufmerksamkeit für sich und entlockt dem Publikum sowohl Mitleid als auch Verachtung.

Fazit

Poe trifft auf den Denver-Klan – Mike Flanagans Neuinterpretation der altbekannten Schauergeschichten aus Amerika funktioniert trotz einem Mangel an gotischer Ästhetik erschreckend gut. Wer sich diesen Oktober statt einer Dauerschleife an Jumpscares lieber einem langsameren, doch nicht weniger schockierenden Beispiel für psychologischen Horror widmen möchte, hat mit „The Fall of the House of Usher“ einen Glücksgriff gemacht.

Bewertung

Bewertung: 9 von 10.

(89/100)

Bilder: ©Netflix