Es ist leiser geworden um Martin Scorsese. Erweiterte der US-Amerikaner seine Filmografie einst, wenn auch teilweise durch notgedrungene Auftragsarbeiten, regelmäßig um neue Werke, ist die Frequenz der Neuerscheinungen momentan vergleichsweise niedrig. Wenn der Regisseur die Bühne betritt, dann allerdings mit einem Knall. Entweder widmet sich Scorsese höchst komplexen Themengebieten oder fordert das Publikum mit immenser Laufzeit. Oder beides, so wie nun in „Killers of the Flower Moon“.

von Cliff Lina

Inhaltlich wirft der Film einen Blick zurück in das Amerika der 1920er Jahre, genauer gesagt auf das Land der Osage, einem nordamerikanischen Indianerstamm, der nach einer erzwungenen Umsiedlung in Oklahoma durch das Ölvorkommen zu enormem Reichtum gelangen konnte. Doch wo Geld ist, ist auch Habgier, sodass es nicht lange dauert hat bis auch „der weiße Mann“ die Gegend bevölkert, sich in die Familien einheiratet und so vom Erbe der Osage profitieren will. Runtergebrochen wird diese weitreichende Geschichte im Grunde auf zwei Figuren: den lokalen Viehzüchter und „King“ William Hale und seinen Neffen Ernest Burkhart, die zusammen mehrere Morde arrangieren um die Osage um ihr Geld zu erleichtern – denn wirklich verdient haben sie es, egal wie man den Satz deutet, nicht.

Was klingt wie spannende Murder Mystery ist leider ein trauriges Zeitzeugnis ganz ohne Mystery, denn „Killers of the Flower Moon“ arbeitet die realen Geschehnisse akkurat, wenn auch in komprimierter Form auf. Die mehr als drei Stunden reichen nicht um die Verstrickungen der Behörden, das mehr als unprofessionelle Vorgehen und die fehlende Motivation bei der Aufklärung in vollem Umfang zu bebildern, und doch bekommen wir einen Eindruck von den damaligen Machtverhältnissen, in denen das Leben der Indianer bei weitem nicht so viel wert war wie ihre Besitztümer – es waren ja „nur Indianer“. Diese bringt uns Scorsese als besonnenen, aber cleveren Stamm näher, der sich trotz aller Widrigkeiten die Freude am Leben nicht nehmen lässt. Der gewonnene Reichtum ändert zwar den Lebensstil, nicht aber den Zusammenhalt innerhalb der Gemeinschaft. Die erste Stunde besticht dabei mit einer überragenden Lily Gladstone, die als Mollie mit dezentem, aber stetem Lächeln das Herz der Zuschauerschaft, und das von Ernest Burkhart gewinnt.

Diesen lernen wir als leicht begriffsstutzigen Kriegsveteranen kennen, der sich immer mehr in den Fäden seines Onkels verheddert. Gespielt von Oscarpreisträger Leonardo DiCaprio schwankt die Figur zwischen gutgläubiger Unerfahrenheit und eiskalter Gier. Im Zusammenspiel mit seiner Frau ergeben sich warme, schöne Momente – sobald jedoch Robert De Niro als William Hale seinem Neffen Gift in den Gehörgang flüstert, wandelt sich der Charakter um 180 Grad. Auch wenn Ernest als etwas beschränkter Mann portraitiert wird, nagt dieser unerklärte Gegensatz an der Glaubwürdigkeit. Im späteren Verlauf, wenn DiCaprio nur noch mit heruntergezogenen Mundwinkeln durch die Szenerie stampft und den moralischen Kompass ad absurdum führt, treibt einen dieses unbelehrbare Verhalten beinahe in den Wahnsinn. So gut Hale als gewiefter Marionettenspieler gewesen zu sein scheint, so unglaublich facettenarm entwickeln sich die Charaktere in seiner Gegenwart, und auch Hale selber ist lediglich ein stereotyper Antagonist, dessen Verhalten nur mit dem Verlangen nach Macht erklärt wird. Das Schauspieltalent beider steht selbstredend nicht zur Debatte, ihre Rollen selbst geben dieses Mal aber leider nicht viel her, um dieses durchscheinen zu lassen. Warum DiCaprio, und viele andere, so eine Angst vor Hale haben und er gleichzeitig vom Landstrich als Wohltäter glorifiziert wird, bleibt unergründet. Gleiches gilt für Ernest, der „Geld und Frauen liebt“. Als Motiv für skrupellose Gräueltaten gegen die Familie seiner eigenen Ehefrau taugt dies wiederum so gar nicht. 

So ergibt es sich, dass „Killers of the Flower Moon“ mehr als drei Stunden lang von Auftragsmorden, tödlichen Unfällen und kriminellen Machenschaften berichtet, ohne dass diese eine Gefühlsregung hervorrufen könnten. Einerseits, weil die Geschichte bekannt ist und keinen fiktionalen Ausgang wählt und andererseits, weil die Figuren ihr Verhalten nicht adaptieren, beziehungsweise wir es ab einem bestimmten Punkt nicht mehr nachvollziehen können. Selbst Zuschauer, die noch nie von den Osage-Morden gehört haben, werden schnell begreifen in welche Richtung die Handlung geht und dass sich lediglich die Frage stellt, wen es als nächstes erwischt und wer diesmal als Sündenbock herhalten muss. Scorsese versucht auch gar nicht einen Spannungsbogen zu erschaffen, sondern verharrt in einer monotonen Erzählweise, irgendwann nur noch zwischen Dialog und Trauerbekundungen wechselnd. Für einige womöglich dem sensiblen Umgang mit der Materie geschuldet und somit angemessen, für andere angesichts der Laufzeit eine kräftezehrende Herausforderung. Dabei hat dieser Film sämtliche Voraussetzungen und vor allem das Budget um ein monumentales Meisterwerk zu sein. Leider gelingt es ihm aber viel zu selten, abseits der groß aufgezogenen Bilder, Emotionen zu erwecken. Wo Fassungslosigkeit und tiefe Bestürzung eintreten sollten, stehen am Ende leider eher Langeweile und Unverständnis darüber warum Lily Gladstone, wohlgemerkt Blickpunkt und zentrale Frauenfigur des Werkes, in der zweiten Hälfte nur noch als wandelnder Zombie agieren darf.

Fazit

So zäh wie das Öl, dessen blutige Spur das Land der Osage einst verwüstete: „Killers of the Flower Moon“ ist epochales Erzählkino, das bis in die Nebenrollen hochkarätig besetzt ist. Was dem Film aber völlig abgeht ist irgendeine Art der Spannung. Stattdessen brillieren sich die Akteure durch eine dramatische, aber vorhersehbare Story ohne Dynamik und dürfen eindimensionale Figuren verkörpern, denen eine Charakterentwicklung fast ausnahmslos verwehrt bleibt. Motive und Eigenarten werden lediglich angekratzt, und nach den mehr als drei Stunden wirkt „The Irishman“ plötzlich wie eine brutale Spaßgranate…

Bewertung

Bewertung: 5 von 10.

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Bilder: ©Apple TV+