Hier erschien kürzlich eine eher negative Kritik zu Martin Scorseses neuestem Werk, das seit kurzem im Kino zu sehen ist und demnächst auch auf AppleTV+ zu streamen sein wird. Die folgende Kritik äußert eine andere Meinung zu entsprechendem Film.

von Christian Klosz

Mit „Killers of the Flower Moon“ legt Martin Scorsese ein schweres, in jeder Hinsicht herausforderndes Werk vor, das eher mit den Vorgängern „Silence“ und vor allem „The Irishman“ vergleichbar ist und (wie schon die beiden Genannten) eindeutig von seinen alten, oft temporeichen, energiegeladenen, ja: rauschhaften Werken abweicht. Wobei auch eine gewisse Kontinuität erkennbar ist: Die Mise-en-scène ist gewohnt erstklassig, auch finden sich Scorseses typische Kamerafahrten, wenngleich entschleunigt und gebremst. Ebenfalls: Die Verbindung aus Musik und Film, der Soundtrack als dramaturgischer Faktor, der das Bild um eine weitere Ebene ergänzt. Aber auch hier. Reduktion und Minimalismus statt Overload (wie etwa in „GoodFellas“), Depression statt manischer Ekstase – dennoch wirksam. Denn die besten, beeindruckendsten Szenen schafft „Killers of the Flower Moon“ dann, wenn ein treibender, anschwellender Bass die langsame Eskalation der Osage-Morde illustriert, vielleicht auch verweisend auf die „subtile, versteckte“ Art des Grauens, das wie alltäglich, fast unsichtbar, schleichend über die Osage-Gesellschaft kommt.

Neben den rein formalen Aspekten, die wie immer bei Scorsese mehr als reine Form sind, erzählt das Epos von Macht, Verführung, unermesslicher Grausamkeit, der „Normalisierung“ und Normalität des Bösen, von Schuld und Verdrängung. Die drei Protagonisten sind der mäßig intelligente Ernest, sein bis zur Unkenntlichkeit bösartiger Onkel „King“ Hale und die die Aura einer „Lady“ umgebende Mollie. Wie viele Osage leidet sie unter gesundheitlichen Problemen (Diabetes), verursachte durch eingeschleppte Krankheiten der Weißen. Finanziell geht es ihr dank des Vermögens ihrer Familie dennoch gut. Als Ernest nach dem Krieg nach Oklahoma kommt, erklärt ihm sein Onkel William Hale, die weiße graue Eminenz der Ortschaft, wie der Hase läuft. Er macht das auf so diabolische, eindringliche, aber auch nahezu unkenntliche Weise, dass man nicht weiß, ob der eher einfältige Ernest versteht, was mit ihm geschieht. Er solle sich doch eine „rote“ Frau suchen…wegen des Geldes versteht sich.

Ernest tut, wie ihm befohlen. Dennoch scheint es zwischen Mollie und ihm zumindest anfangs echte Liebe zu geben. Während das junge Paar Kinder in die Welt setzt, geht das konstante Sterben der Osage weiter: Wöchentlich werden neue Leichen gefunden, einmal soll es sich um „Selbstmord“ gehandelt haben, ein anderes Mal wird der Tod erst gar nicht untersucht.

Ernest erscheint als auf einem Auge blinder Mitläufer, zugleich Opfer und Täter, Opfer der Manipulation durch seinen Onkel und der Umstände, Täter, weil er bei all dem mitmacht und sich dem geschehenden Unrecht nicht in den Weg stellt. Er scheint selbst nicht wirklich zu verstehen, was um ihn passiert, was mit ihm passiert. Er hinterfragt sich nicht, weil er dazu vielleicht auch gar nicht in der Lage ist. Er verdrängt seine eigene Schuld und erscheint deshalb lange Zeit – zumindest gegenüber seiner Familie, seiner Mollie – als fürsorglicher Mann, der sich immer schützend vor sie stellen würde (während er in seinem „anderen Leben“ aktiv an der Tötung der Osage mitwirkt). Bis der Zeitpunkt kommt, als er Gift in die Diabetes-Spritzen seiner Frau mischen soll, um sie still und heimlich um die Ecke zu bringen, sodass er ihr Geld erben würde, das schließlich an seinen Onkel übergehen soll.

Ernest fragt nicht nach, worum es sich bei dem Mittel handelt. Er will es nicht wissen. Es soll seiner Frau helfen sagen ihm die (weißen) Ärzte. Er könnte es sich denken. Entscheidet sich aber dazu, nicht zu denken. Blendet aus, macht, wie ihm befohlen. Einen Moment der Einsicht hat Ernest wohl, als es Mollie immer schlechter geht, er selbst das Gift zu sich nimmt, in einem verzweifelten Versuch, sich und seine Schuld zu tilgen, all dem ein Ende zu bereiten.

Am Ende ist „Killers of the Flower Moon“ das eindrückliche Porträt eines Schwächlings, eines Feiglings, eines Mitläufers. Seine Erkenntnis kommt (zu) spät, als sich das FBI einschaltet und die mörderischen Vorkommnisse in Osage-Land untersucht. Schnell fällt der Verdacht auch auf Ernest. Um seine Haut zu retten will er gegen seinen Onkel aussagen. Nach Gewalt-Intervention durch diesen entscheidet er sich anders, wird in Gewahrsam genommen. Nimmt schließlich doch den „Deal“. Ob es purer Opportunismus ist, partielle Einsicht oder nur das stupide, unhinterfragte Befolgen von Vorgaben durch andere bleibt offen. Gegenüber seiner Frau Mollie, die all das wie duch ein Wunder überlebt, entschuldigt er sich. Gesteht seine Mitschuld. Schiebt sie auf seinen Onkel und dessen Schergen. Bleibt aber dabei: Seine Liebe zu ihr wäre echt gewesen. Ob das stimmt weiß Ernest vielleicht selbst nicht. Sie glaubt ihm jedenfalls nicht, und geht. Er bleibt mit seiner Schuld alleine.

Fazit:

„Killers of the Flower Moon“ ist schwere Kost, formal erstklassig umgesetzt, inhaltlich enorm fordernd. Scorsese befasst sich erneut mit seinem Lieblingsthema „Schuld“. Vergebung gibt es auch diesmal keine, die „Sünde“ des Protagonisten ist diesmal weniger „Gier“ (wie oft in Scorseses Mafia-Filmen, dessen Hauptfiguren von Habgier und Hochmut getrieben werden), sondern „Ignoranz“, „Dummheit“, Trägheit. Die Konsequenz bleibt dieselbe: Ein Leben in der Verbannung der Einsamkeit. Ein Film, der schwer im Magen liegen bliebt. Und dort mit der Zeit wächst.

Bewertung:

Bewertung: 9 von 10.

(86/100)

Bild: ©Apple TV+