Im Jahre 2019 sollte es niemanden mehr überraschen, dass die Musikindustrie zu den härtesten und skrupellosesten Branchen zählt, die uns täglich zu unterhalten versucht. Junge Talente werden mit aller Macht zu Stars konditioniert, bis zur Unkenntlichkeit verformt und auf allen Kanälen vermarktet. Doch der Ruhm von einst verkommt schnell zum Trauma von morgen, und anstelle von Hits und ausverkauften Konzerthallen bestimmten Skandale die Schlagzeilen. Der Erfolg bleibt aus, die Erinnerung verblasst und an der nächsten Ecke warten schon die nächsten Jungstars auf ihre Chance. Namen sind Schall und Rauch, und nur wenige schaffen es zur der Ikone zu werden, die ihnen einst versprochen wurde.

von Cliff Brockerhoff

Celeste, ihres Zeichens alkoholabhängige Mutter einer vernachlässigten Tochter, die kurz vor der Veröffentlichung ihres neuen und titelgebenden Studioalbums „Vox Lux“ steht, hat sich allerdings an der Spitze etabliert. Einst durch eine persönliche Tragödie in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt, verkörpert sie auf der Bühne die unzähmbare Powerfrau, die mit ihrer Musik tausenden Menschen zu neuem Mut verhilft. Abseits des Rampenlichts leidet aber auch die 31jährige unter den Schattenseiten des Ruhms und steht nicht selten vor einem Nervenzusammenbruch. Doch das Geschäft verzeiht keine Schwäche, und so hält Celeste den Gaga-esquen Schein aufrecht, obgleich die Maske zu bröckeln beginnt.

„Vox Lux“ ist neu im Kino zu sehen.

„Vox Lux“ ist der zweite Spielfilm des US-Amerikaners Brady Corbet, der sich in seinem neuesten Werk an einem bizarren Blick auf die Machenschaften innerhalb unserer Popkultur versucht und dabei niemand Geringeren als die bezaubernde Natalie Portman für die Besetzung seiner Protagonistin gewinnen konnte. Zu Gesicht bekommen wir Portman überraschenderweise aber erst in der zweiten Hälfte, widmet sich das Werk anfangs ausgiebig der Kindheit der kommenden Bühnengröße. In dieser Phase übernimmt Raffey Cassidy („The killing of a sacred deer“) die Rolle von Celeste, und wir nehmen Teil am kometenhaften Aufstieg, der eng mit dem Verlust der Unschuld und der Verschiebung der moralischen Werte verbunden ist. Die ersten Minuten sind geprägt von Spannung und Intensität, unterfüttert von einer packenden Eröffnungsszene und leichtfüßiger Popmusik, die in sehr skurrilem Kontrast zur erschütternden Thematik steht. Der eigentliche Höhepunkt der Divergenz soll allerdings noch folgen.

Plötzlich finden wir uns im Jahre 2017 wieder. Celeste hat mit ihrer geliebten Schwester gebrochen, ist selbst Mutter und zudem ein gefeierter Popstar. Portman zeigt sich als dünnhäutige Diva, die neben den branchenüblichen Problemen auch mit dem Alltag zu kämpfen hat. Die Mechaniken der Musikmaschinerie haben voll zugeschlagen, werden dem Zuschauer aber nur angedeutet. Was in den Jahren zwischen den Zeitebenen passiert ist wird lediglich umschrieben, wirklich präsent ist nur der Wandel vom zerbrechlichen Mädchen zur gebrochenen Showgröße.

Das alles wirkt gehetzt und fungiert als Abbild der Schnelllebigkeit der Branche, entbehrt aber leider jeglicher Nachvollziehbarkeit und noch schlimmer: Intensität. Celeste wirkt wie eine seelenlose Hülle, zu der eine emotionale Bindung denkbar schwerfällt. Die schauspielerische Leistung Portmans ist dabei enorm ansehnlich, aber auch ihr Talent kann nicht über die fehlende Sympathie des Popstars hinwegtäuschen. Als wir gegen Ende an einem Konzert teilhaben dürfen, werden wir Zeuge einer perfekt choreografierten Bühnenshow, die ohrenbetäubend laut ist – und doch wenig zu sagen hat.

Fazit

„Vox Lux“ ist als Kritik am gegenwärtigen Zeitgeist zu verstehen, die Corbet auch eindrucksvoll gelingt. Handwerklich ist dem Film nichts anzukreiden, allerdings mangelt es dem unbeseelten Konstrukt besonders am Ende an Durchschlags- und vor allem Aussagekraft. Hier und da blitzt die düstere Ästhetik immer wieder auf, letztlich ist „Vox Lux“ aufgrund seines stark abschüssigen Spannungsbogens aber wie das typische Popalbum der heutigen Zeit: Er hat ein paar Hits, die zum Mitsingen einladen, besteht aber zu großen Teilen aus austauschbarem Füllmaterial, das man irgendwo anders schon mal besser gehört, oder im konkreten Fall, besser gesehen hat.

Bewertung

6 von 10 Punkten

Rating

C. KloszC. BrockerhoffM. Hollen-
stein
E. LeebD. KrunzP. Kunz Ø
84638276.3

Bilder: ©Kinostar Filmverleih