von Cliff Brockerhoff

Basierend auf einer wahren Geschichte. Oftmals rufen diese Worte mittlerweile eher ein leises Zweifeln als wirkliches Interesse hervor, benutzen doch viele Filmemacher genau diesen Spruch um Authentizität zu forcieren. Bei „The Farewell“ verhält es sich anders, was alleine daran zu merken ist, dass nicht von einer wahren Geschichte, sondern von einer wahren Lüge die Rede ist. Diese leitet ein in einen Film, der stark autobiografisch geprägt ist und in dem die Regisseurin Lulu Wang ein besonderes Kapitel aus ihrem eigenen Leben Revue passieren lässt.

Die angesprochene Lüge bezieht sich dabei auf Wangs Großmutter, die im Jahre 2013 mit Lungenkrebs diagnostiziert wurde, allerdings nie von dieser Nachricht erfuhr. Die Familie entschied sich stattdessen dafür der alten Dame die letzten Monate so angenehm wie möglich zu gestalten, da viele Chinesen die Meinung vertreten, dass nicht etwa die Krankheit per se die Menschen ins Grab bringt, sondern das es vielmehr die Angst ist, die den Erkrankten den letzten Lebensmut raubt. Die endgültige Entscheidung darüber wurde, genau wie im Film, dabei von der jüngeren Schwester getroffen, die sich in Wangs filmischer Umsetzung sogar selber portraitiert.

Tragik trifft auf Komik – „The Farewell“ tanzt auf mehreren Hochzeiten

Was im westlich geprägten Raum dieser Erde undenkbar ist, hat in China Tradition. Die Vorstellung von Familie und die damit verbundenen Werte und Normen sind aus kultureller Sicht andere als die, die uns vorgelebt werden. Aus ebenjenem Unterschied erwächst die große Stärke von „The Farewell“. So eigenartig dem Zuschauer das Verhalten auch anmuten mag, es bleibt stets in gewisser Weise nachvollziehbar. Die Antworten auf die moralisch gestellten Fragen werden dem Betrachter nicht vordiktiert, er kann sich diese mithilfe der im Film verbildlichten Etikette selber geben – oder aber er lässt das Werk einfach auf sich wirken, denn auch wenn die Thematik einen ernsten Unterton anschlägt, lässt sie doch genug Raum für komödiantisches Treiben, das der Unterhaltung zuträglich ist und dafür sorgt, dass wir nicht von monotoner Traurigkeit erschlagen werden.

Einen großen Anteil daran hat die Chemie zwischen der Protagonistin „Billy“, die das alter ego von Lulu Wang darstellt, und ebenjener „Nai Nai“, die durch ihre Diagnose dafür sorgt, dass die gesamte Familie sich noch einmal zusammenfindet um geräuschlos Abschied zu nehmen. Die dafür im Film vorgeschobene Hochzeit hat auch im realen Leben so stattgefunden, wenn auch in leicht abgeänderter Form. Billy, die von Schauspielerin und Rapperin Awkwafina dargestellt wird, sorgt im Zusammenspiel mit „ihrer“ Großmutter für die Highlights des Films. Der Zweifel ob der richtigen Entscheidung schwelt permanent unter der Oberfläche, und doch entstehen immer wieder sehr herzliche und lebenbejahende Szenen. Leider fühlt sich der Rest oftmals ein bisschen so an als müsste der Film eine relevante Länge erreichen. Natürlich ist aufgrund der Materie kein Feuerwerk der guten Laune zu erwarten, aber in Teilen gerät das Verhältnis zwischen bedeutsamen und belanglosen Szenen aus dem gesunden Gleichgewicht, oftmals verstärkt durch das Zusammenspiel mit sehr merkwürdig geschnittenen und arrangierten Szenen ohne erkennbaren Mehrwert.

Zum Glück gelingt es der Hauptdarstellerin den Film größtenteils auf ihren schmalen Schultern zu tragen – was ihr nicht ohne Grund den Golden Globe in der Kategorie „Beste Hauptdarstellerin – Komödie/Musical“ einbrachte. Ihre Performance ist der Dreh- und Angelpunkt des Films und verkörpert die kulturellen Differenzen und den Konflikt zwischen den verschiedenen Weltanschauungen sehr eindrucksvoll, ohne jemals zu sehr die Tränendrüse oder den moralischen Zeigefinger zu strapazieren, sodass am Ende durchaus konstatiert werden kann, dass die eingangs erwähnte „gezwungene Authentizität“ in „The Farewell“ sehr leichtfüßig daherkommt.

Billy (Awkwafina) und ihre „Nai Nai“ – ein bezauberndes Duo

Fazit

Nach zuletzt sehr starken Beiträgen aus dem asiatischen Raum gehört auch „The Farewell“ zu den besseren Werken seiner Zunft. Auch wenn das Qualitätsniveau nicht über die gesamten 100 Minuten gehalten werden kann, offenbart sich dem interessierten Begutachter eine wahrhaft unglaubliche Geschichte, die einen guten Kompromiss zwischen Emotion und Attraktion findet, insbesondere durch die schauspielerische Güteklasse ihren Weg in die oberen Punkteregionen bestreitet und den geduldigen Zuschauer am Ende mit einem erstaunlichen Abschiedsgruß belohnt. Genrefans sollten auf jeden Fall einen Blick über den europäischen Tellerrand hinaus riskieren.

Bewertung

7 von 10 Punkten

Bilder: ©dcm

Wer sich von der Kritik angesprochen fühlt und nun Interesse an einer Sichtung von „The Farewell“ hat, kann den Film ab dem 17. April auf BluRay oder DVD erwerben. Als video-on-demand steht das Werk bereits zur Verfügung.