Mafia-Filme erfahren gerade eine kleine Renaissance. Während die Koryphäe des Genres, Martin Scorsese, seine Mobster in The Irishman ins Altersheim schickte, warf der italienische Regisseur Claudio Giovannessi in Piranhas/La paranza dei bambini einen Blick auf die Jugendbanden Neapels. Das beliebte Genre, das nie ganz von den Leinwänden verschwunden war, hat mit Il Traditore nun den dritten interessanten neuen Beitrag innerhalb kürzester Zeit bekommen. Während The Irishman stark bei den Oscars vertreten war, gewann Piranhas/La paranza dei bambini den Silbernen Bären für das beste Drehbuch auf der Berlinale. Reiht sich Il Traditore in die Reihe dieser starken Veröffentlichungen ein?

von Marius Ochs

Dabei ist die Story für einen Mafia-Film eher unkonventionell: Tommaso „Don Masino“ Buscetta ist das erste Mitglied der „Cosa Nostra“, das vor Gericht gegen die kriminelle Organisation aussagt. Seine Aussagen führen zu 366 Verhaftungen und einigen weiteren Morden. Il Traditore versucht, maximal viele Aspekte dieser Geschichte in die stattlichen 150 Minuten Laufzeit zu packen. Klassische Themen wie der Aufstieg in den Rängen der Mafia oder blutige Intrigen zwischen den Familien findet man kaum. Die Ehre der Männer der Organisation ist das bestimmende Thema. So spielt der Film in diesem Aspekt auch seine große Stärke aus: Der Mythos Mafia kommt zu keiner Sekunde auf. Die „Cosa Nostra“ wird in Il Traditore nach den Maßstäben des Gesetzes gemessen.

Durch diesen Spiegel gesehen, verlieren die anzugtragenden, Zigarre rauchenden Mob-Mitglieder neben ihrer Freiheit vor allem ihre Würde. In den Gerichtsszenen sitzen sie hinter Gitterstäben und schreien Unverständliches, spielen epileptische Anfälle vor und verhalten sich generell stillos. Der Film lässt zu keinem Zeitpunkt Zweifel daran aufkommen, dass der Weg des „Don Masino“ – außergewöhnlich charismatisch gespielt von Pierfrancesco Favino – wesentlich mehr Würde besitzt als der Heroinhandel. Trotzdem glorifiziert der Film seinen Hauptcharakter zu keiner Zeit. Vor allem die letzte Szene macht eindrucksvoll deutlich, dass Regisseur Marco Bellochio die Ambivalenz seines Protagonisten klar erkannt hat.

Altmeister Bellochio trifft darüber hinaus aber einige Entscheidungen, die den Film anspruchsvoller als nötig machen. Es dauert gute 45 Minuten, bis man sich grob in der Geschichte zurechtfindet, davor wird man mit Namen, Ereignissen, Orten und Morden konfrontiert, ohne wirklich zu wissen, was vor sich geht. Das Pacing und die Ortswechsel verwirren gerade am Anfang, irgendwann findet Il Traditore dann glücklicherweise einen Rhythmus. Ab diesem Zeitpunkt ist der Film deutlich besser. Gelegentliche Rückblenden geben dem Film dann auch noch eine gewisse metaphorische Tiefe. „Don Masino“ mit einem Tiger, und den verfeindeten Salvatore Riina mit einer Hyäne gleichzusetzen, die beide hinter Gittern im Zoo auf- und abgehen, ist dabei jedoch auch nicht das kreativste Bild. Auf bildlicher Ebene bleibt der Film so zu häufig an der Oberfläche.

Am besten ist der Film ohne Frage in den Gerichtsszenen. Die Verhandlungen sind das Herzstück des Films. Alles davor und danach fühlt sich aufgebauscht an, die Qualität der Szenen außerhalb des Gerichts schwankt stark. Doch die bitterbösen Dialoge, der zynische Humor, die irre Inszenierung, die fröhlich-ironische musikalische Untermalung, kombiniert mit den auf realen Ereignissen basierenden Gerichtsverhandlungen – das ist ganz großes Kino. Hier erkämpft Il Traditore sich ein Alleinstellungsmerkmal.

Fazit:

Il Traditore hat eindeutig Schwächen: Er ist zu lang, der Einstieg in den Film ist verwirrend und unnötig anspruchsvoll, das Pacing ist uneinheitlich. Doch vor allem Genre-Fans unterhält der Film. Ein süffisanter Abgesang auf die Verbrecherorganisation „Cosa Nostra“, ganz ohne romantisch verstellten Blick. Der charismatische gespielte „Don Masino“ ist ein spannender, tiefgründiger Charakter und ambivalent genug, um 150 Minuten interessant zu bleiben. Und wenn sich die Mafia der Justiz gegenüberstellen muss und dabei nicht nur das Gesicht, sondern auch den Verstand verliert, läuft der Film zu Hochform auf und schafft einen einzigartigen, relevanten Blick auf ein altbekanntes Thema. Seit 14.8. im Kino.

Bewertung:

Bewertung: 7 von 10.

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Titelbild: © Fabio Lovino; Textbild: © Filmladen Filmverleih