Drei Akkorde und die Wahrheit – mit Tinte in den Arm eingelassene Worte und gleichzeitig Rose-Lynns‘ Antwort als sie gefragt wird, warum sie sich ausgerechnet der Country-Musik verschrieben hat. Als Britin mitunter ungewöhnlich und sicher nicht geplant, ebenso wenig wie das verfrühte Mutter-Dasein und dem kürzlich beendeten, mehrmonatigen Aufenthalt in der Justizvollzugsanstalt.

von Cliff Brockerhoff

Die Lebensumstände der jungen Zweifachmutter sind somit alles andere als „rosig“. Irgendwie fühlt sich Rose fehl am Platz, zieht ein Leben in den beschwingten United States dem im trostlosen Glasgow vor und ist mitunter schutzlos den durchaus begründeten Vorwürfen ihrer Mitmenschen ausgeliefert. Doch passend zu den aufmunternden Texten ihrer Vorbilder scheint sich auch Rose‘ Schicksal zum Guten zu wenden als sie beginnt im Haushalt der gutsituierten Susannah zu arbeiten, die nach und nach den Status des reinen Arbeitgebers verlässt.

„Wild Rose“ vermengt im Grunde also ein relativ schematisch aufgebautes Familiendrama mit lebensbejahender Bluegrass-Attitüde, angesiedelt vor untypischer Kulisse. Eine angegraute Milieustudie zu den Klängen verblasster Countrygrößen – ob das funktionieren kann? Spätestens als Jessie Buckley zum ersten Mal ihr kraftvolles Organ erklingen lässt und der Zuschauer das Aroma von in Eichenfässern gereiftem Whiskey förmlich schmecken kann, muss diese Frage mit einem schallenden „Yeehaw“ beantwortet werden.

Doch Tom Harpers Film ist so viel mehr als ein bloßer Feel-good-movie, denn innerhalb seiner Erzählung wechselt die Tonalität mehrfach und verleiht allen relevanten Charakteren die nötige Tiefe. Nichts davon wirkt affektiert und vieles geschieht beinahe ohne Bewusstsein des Betrachters. Die Mentalität ist zutiefst aufrichtig und lässt die Zuschauer mitfühlen, mitleiden und mitfiebern. Dabei, wie Rose ihren großen Traum scheinbar begraben muss, wie sie und ihre eigene Mutter die eigenen Konflikte aufarbeiten, wie Freundschaft selbst die größten Gräben überwindet und der Film selbst ohne erzwungene Ecken und Kanten doch einen eigenen Charakter entwickelt, der nicht selten zu Tränen rührt und/oder ein Lächeln ins Gesicht zaubert.

Im Zuge seiner 101 Minuten avanciert der Film zum heimlichen Star, dessen unangefochtener Fixpunkt unbestreitbar mit kupferfarbener Mähne und weißen Boots die Bühne für sich einnimmt. Auch wenn der gesamte Cast eine sehr gute Leistung zeigt, ist Jessie Buckley offenbar für diese Rolle geboren worden. Ihre markigen Sprüche (der Originalton ist hier absolute Pflicht!), ihre liebenswürdig weltfremden und doch nachvollziehbaren Ansichten und ihre unfassbar erwärmende Stimmfarbe hieven die Irin in den elitären Kreis derer, bei denen die Grenzen zwischen Schauspiel und Verkörperung verschwinden. Jessie Buckley spielt ihre Rolle nicht, sie vereinnahmt sie. Rückblickend betrachtet ein absolutes Rätsel wie diese Leistung nicht mit einem Oscar – oder zumindest irgendeinem namhaften Award – belohnt werden konnte. Es wäre mehr als verdient gewesen.

Fazit

„Wild Rose“ porträtiert in perfekter Symbiose aus lebensfroher Musik und geerdeten Bildern die innere Zerrissenheit einer jungen Mutter, die sich zu Höherem berufen fühlt und besticht dabei durch eine absolute powerhouse performance seiner Hauptdarstellerin, die mit ihrem Akzent und ihrer Stimme selbst den staubigsten Wüstensand in Nashville zum Schmelzen bringt. Egal ob Country-Fan oder nicht, dieses Werk ist ein Muss, denn es ist „f*cking fontastic!“ (zu lesen in feinstem scottish english). Verfügbar auf Netflix!

Bewertung

Bewertung: 9 von 10.

(87/100)

Bilder: ©Entertainment One / Aimee Spinks (Neon)

Mehr Streaming-Tipps haben wir hier für euch vorbereitet.