Seit Februar kann man „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“, die Serien-Neuauflage der Geschichte von Christiane F., auf Amazon Prime Video streamen. Unser Redakteur Marius Ochs hat sich mit einem der Hauptdarsteller, Michelangelo Fortuzzi, zum Interview getroffen. Der 20-Jährige gewann 2019 für seine Rolle in „Alles Isy“ den Förderpreis des Deutschen Fernsehpreises, spielte erfolgreich in der YouTube-Serie „Druck“ sowie in Bjarne Mädels Regiedebüt „Sörensen hat Angst“ mit.

Hallo Michelangelo, schön, dass wir uns zumindest per Video-Anruf treffen konnten. „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ ist jetzt schon eine Weile veröffentlicht – wie waren die Reaktionen aus deinem Umfeld?

Sehr gut. Den Leuten aus dem Freundeskreis, die es geschaut haben, hat‘s gefallen. Deren ehrliches Feedback und Kritik ist mir am wichtigsten. Die Kritikpunkte sind dabei immer dieselben, was ich verstehen kann. Aber auch wenn alles schick aussieht, haben sie gesagt: Spannungsvolles Ding, das zum Nachdenken anregt.

In vielen Reviews hat man eure Kostüme und Make-Up als heroin chique beschrieben. Findest du, ihr stellt Drogen in der Serie zu stylisch dar?

Es ist so: Jemand denkt sich das Konzept aus und dann wird mir als Schauspieler das vorgelegt. Das ist dann halt so. Man wollte sich bewusst abgrenzen vom Original, einfach etwas Neues, Fiktives, ein eigenes Universum erschaffen, das aber trotzdem noch auf dem Original basiert. So hatte man den künstlerischen Freiraum um eigene Entscheidungen zu treffen und dem Zuschauer einen gesunden Abstand zu geben. So kann man sich das einfacher anschauen. Ich persönlich finde nicht, dass die krassen Szenen darunter leiden.

Da gebe ich dir recht. Mich haben zum Beispiel die Szenen lange beschäftigt, in denen Christiane und Benno sich direkt nach dem Aufstehen um das Heroin gestritten haben. Auch der gemeinsame Entzug wurde heftig dargestellt. Wie konntest du dich persönlich dem Thema „Sucht“ nähern?

Das ist das Thema, mit dem ich mich am meisten in der Vorbereitung auseinandergesetzt habe. Mir war es wichtig, in meinem Leben etwas zu finden, um dieses Gefühl von Verlangen mit etwas in mir in Verbindung zu bringen, damit ich das auch darstellen kann. Das war nicht einfach. Wir hatten auch einen Ex-Drogensüchtigen in den Vorbereitungen, der uns offen seine Geschichte erzählt hat. Er hat die Sucht beschrieben als ein Verlangen, dass aus den Knochen nach draußen will und nicht aufhört zu schmerzen, bis du deinem Körper gibst, was er von dir will. Man muss da etwas Eigenes finden, nach dem man so krass Sehnsucht hat, damit man das assoziieren kann. Irgendwann hat es bei mir Klick gemacht.

Berlin ist ja mehr als nur eine Kulisse für die Serie. Wie ist dein Verhältnis zu der Stadt?

Ich liebe Berlin, ich bin hier aufgewachsen. Mit 15,16 konnte ich es nicht wirklich leiden. Mittlerweile sind Erinnerungen und Freundschaften mit der Stadt verknüpft. Man merkt immer wieder, wie viel Freiheit und Raum man sich in Berlin nehmen kann.

Hattest du beim Aufwachsen Berührungspunkte zu der Drogen-Szene, die in der Serie und in Christiane F.s Geschichte dargestellt wird?

Viele meiner Freunde wohnen in Kreuzberg, da kommt man viel am Kottbusser Tor vorbei. Wenn man hier aufwächst, ist es einem nicht fremd. Aber: Außer du suchst aktiv den Kontakt, wirst du mit dieser Szene nicht in Kontakt kommen. Du wirst nur an dieser Welt vorbeihuschen. Es wird niemand zu dir kommen und dir alles erzählen.

Das ist ja in der Serie auch so. Alle, die konsumieren, konsumieren aus der eigenen Motivation heraus, so traurig das auch klingt.

Ja, genau.

Glaubst du, dass die Unterschiede zum Original dazu genutzt werden, eine zweite Staffel zu produzieren?

Bestimmt ist das auch ein Hintergedanke. Ich weiß aber von nichts. Ich persönlich hätte keine Ideen, wie man das fortführen könnte, ich fände es langweilig, wenn man uns für fünf Staffeln weiter Drogen nehmen lässt. (lacht) Ich würde mich zwar freuen, aber ich finde persönlich auch: Das ist eine Staffel, die für sich steht. 

Stehst du noch in Kontakt mit dem restlichen Cast, seid ihr auch im echten Leben eine Clique geworden, hoffentlich mit gesünderem Konsumverhalten?

(lacht) Wir haben uns relativ schnell angefreundet. Es war klar, dass der Dreh eine lange, anstrengende Zeit wird. Man will danach immer in Kontakt bleiben, aber dann ist man plötzlich zurück im eigenen Privatleben. So sehr man es sich wünscht, man schafft es leider zu selten, zusammen Zeit zu verbringen.

Morgen fliegst du nach London, um weiter Schauspiel zu studieren. Wie ist die Ausbildung dort?

Sie ist anders als eine klassische Ausbildung in Deutschland. Sehr Shakespeare-lastig, was ich gut finde. Mit Shakespeare lernt man, dass jedes einzelne Wort eine Bedeutung hat und dem Charakter etwas geben kann. Damit lernt man dann auch relativ schnell, mehr aus anderen Texten rauszufiltern. Teilweise haben wir dann Gastlehrer von riesigen Projekten, die Choreografin von „Joker“ zum Beispiel, da kann man viel lernen.

Konntest du das nutzen, um dich auf die Rolle des „Benno“ vorzubereiten?

Nein, ich habe erst im September 2020 angefangen.

Auch ohne die Ausbildung spielst du Benno beeindruckend und authentisch. Kannst du dich mit Benno identifizieren, verbindet euch etwas?

Wir haben beide eine Verträumtheit, die ich von Anfang an beim Lesen des Skripts in ihm gesehen habe. Mir wurde das immer von meinen Lehrern vorgeworfen, dass ich zu sehr zwischen den Wolken bin mit meinem Kopf, das habe ich mir bei ihm auch vorgestellt. Für die Schule ist das zwar nicht optimal, aber ich finde, es ist eine gute Art, um sich vom Alltag abzugrenzen. Die Liebe zu Tieren habe ich auch, ich habe selber auch einen Hund.

Aus dieser Essenz konnte ich dann auch gut den Charakter rausfiltern. Phillip Kadelbach, unser Regisseur, der enorm viel mit uns einzeln gearbeitet hat und jedem von uns geholfen hat, die Rollen zu verstehen, hat mich dabei auch sehr unterstützt.

In der Serie spielt Musik eine große Rolle, auch aus unterschiedlichen Stilrichtungen. Wie sieht’s bei dir aus, Techno oder David Bowie?

Eher Techno. (lacht)

Mal weg von „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“. Du hast ja vorher ziemlich erfolgreich in der YouTube und Funk-Serie „Druck“ mitgespielt. Was waren so die Unterschiede in der Produktion für die Öffentlich-Rechtlichen und Amazon?

Das Budget hauptsächlich. Wenn man jetzt „Druck“ als Beispiel nimmt, da hatten wir meistens nur einen Beleuchter, wenig künstliches Licht, alles so natürlich wie möglich. Und dann hast du „Wie Kinder vom Bahnhof Zoo“, wo jeden Tag 200 Leute am Set sind und was weiß ich wie viele Leute in den Büros sitzen und irgendwelche Sachen regeln. Der Aufwand ist größer, weil sie das Geld dafür haben.

Hat das dein Schauspiel beeinflusst?

Nein, das nicht. Das liegt eher an der Verbindung zum Regisseur. Es gab viel Verständnis für die gegenseitige Arbeit. Man kann aber auch so ein riesiges Projekt machen, sich nicht mit jedem verstehen und dann leidet das Schauspiel sicher darunter. Es geht darum, wie viel Raum eine Produktion dir geben kann und ich hatte das Glück, dass die bisherigen Produktionen mir immer den Raum gegeben haben, den ich brauchte.

Und wie ist es im Vergleich dazu, bei einem Kurzfilm wie „Lila“, bei dem dein Vater und dein Bruder auch mit dabei sind, selbst die künstlerische Leitung zu übernehmen?

Es war interessant. Die künstlerische Leitung hat an sich Sebastian Nordmann, der das Buch geschrieben hat und uns alle mit an Bord geholt hat. Aber er hat unsere Erfahrungen sehr mit integriert. Es war eine größere kreative Freiheit, weil man noch enger zusammengearbeitet hat. Der Druck war auch größer, weil man sich über Crowdfunding Geld von Fans geholt hat. Da will man nicht, dass die Leute am Ende sagen: „Ganz schön kacke, was ihr mit unserem Geld angestellt habt.“ (lacht)

Wie kamst du überhaupt zum Schauspiel?

Ich bin in dieser Welt aufgewachsen. Mein Vater ist Theaterschauspieler und -Regisseur und meine Mutter war Opernsängerin und ist jetzt Gesangslehrerin. Als wir klein waren, haben wir bei vielen Proben zugeschaut, wenn mein Vater was inszeniert hat. Für mich schon immer klar, dass ich das machen wollte. So ungefähr mit 8 Jahren habe ich den Wunsch dann ausgedrückt.

Wie muss man sich eine Situation bei euch am Esstisch vorstellen? Wie war die Atmosphäre, habt ihr euch gegenseitig Shakespeare vorgelesen?

Ich habe immer Requisiten geklaut, um mir die Zeit zu vertreiben und zu spielen. (lacht) Ich habe dann auch mal die Degen genommen habe, die wirklich spitz sind, das war nicht gut. Mein Vater hat mich dann gefragt, warum ich das mache. Dann habe ich gesagt: Ich will Schauspieler werden.

Und was steht als Nächstes für dich an?

Ich bin sehr fokussiert auf das Studium. Danach will ich eine englische, internationale Agentur finden. Das ist das große Ziel. Sonst ist es Kino. Ich habe mir in letzter Zeit meine Filmografie angeschaut und gemerkt, dass ich mehr Kino als bisher machen will.

Letzte Frage: Hast du noch einen Streaming-Tipp für unsere Leser?

Pflicht und Schande“ kann ich sehr empfehlen auf Netflix. Es ist eine britisch-japanische Netflix-Serie über einen japanischen Kommissar, der nach London muss, um seinen verschwundenen Bruder zu suchen. Ist echt geil gemacht!

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