In den über zwei Jahren, die Anne Frank und ihre Familie sich im Geheimen vor den Nazis zu verstecken versuchten, führte sie stets ihr Tagebuch, adressiert an ihre imaginäre Freundin Kitty. In dem Animationsfilm “Wo ist Anne Frank?” von Regisseur Ari Folman erwacht Kitty plötzlich zum Leben. Oder besser: Steigt aus dem Tagebuch heraus, und zwar zu einem Zeitpunkt „jetzt in einem Jahr.“ Das damalige Versteck ist nun ein Touristenmagnet, das Mädchen Anne Frank zur Ikone, ihr Tagebuch zum Kassenschlager geworden. Alles in Amsterdam ist auf sie zugeschnitten, von der Anne Frank Brücke zum Anne Frank Theater. Nur eines ist Kitty noch immer unklar: Wo ist ihre Freundin?
von Christoph Brodnjak
Um diesem Rätsel auf die Spur zu kommen, teilt sich der Film in mehrere Handlungsstränge und wechselt zwischen mehreren Perspektiven hin und her. Einerseits ist da die Geschehnisse rund um Kitty im Hier und Jetzt. Sie hat das Tagebuch mit sich genommen und befindet sich nun gemeinsam mit dem kleinkriminellen Peter auf der Flucht vor der Polizei. Dabei versucht sie, das Schicksal ihrer Freundin zu erfahren, nachdem sie ihren letzten Tagebucheintrag auf Papier gebracht hat.
Gleichzeitig taucht sie beim Lesen auch in die Vergangenheit und die Erinnerungen von Anne Frank im Versteck ein. Hier folgt man Annes Perspektive, ihrem Alltag als “U-Boot”, aber auch ihrer Fantasie, mit der sie sich die Welt zu erklären versucht – alles geleitet von Gesprächen mit ihrer besten Freundin Kitty.
“Wo ist Anne Frank?” verfolgt mit seinen zwei erzählerischen Schienen ein ganz klares Ziel: die Gegenüberstellung des echten Mädchens Anne mit dem Symbol Anne Frank. Die allererste Einstellung des Films zeigt eine lange Schlange an Touristen im Regen vor dem Anne Frank Haus, während einer Flüchtlingsfamilie gerade das Zelt weggeweht wird. Diese Diskrepanz zwischen Huldigung einer Ikone und tatsächlichen Lehren, die daraus gezogen werden, bildet die zentrale These des Films. Welche allerdings auch durchaus mittels Holzhammermethode vermittelt wird. Während allein durch die filmischen Mittel ein sehr klares Bild vermittelt wird, werden diese Thesen abermals direkt angesprochen und erklärt, sei es in Dialogen oder schwingenden Reden. Die Bilder lassen keineswegs Interpretationsspielraum zu – was noch kein Manko ist – durch die Unterstreichung mittels der Worte wirkt aber alles etwas dick aufgetragen.
Vielleicht braucht es das auch, bei Themen wie diesen ja keinen Raum für etwaige Missverständnisse zu bieten. Andererseits wiegt die Message dann mehr als die Charaktere, was sich schlussendlich auch auf den Filmgenuss auswirkt. Gerade die Beziehung von Kitty als Person und ihre Interaktion mit anderen Personen – insbesondere Peter – wirkt etwas halbgar. Ein Effekt der zwei Stränge ist, dass manchmal die Tonalitäten sich gar arg beißen. Eben folgt man Anne Frank, deren Geschichte mit durchaus potenten und kreativen visuellen Metaphern dargeboten wird. Plötzlich befindet man sich gemeinsam mit Kitty auf einer wilden Verfolgungsjagd auf Schlittschuhen vor der Polizei. So wechselt der Film zwischen einem Werk, dass mittels des Mediums der Animation versucht, Angst, Trauma und Hoffnung zu verdeutlichen; und einem actiongeladenen Zeichentrickfilm für Kinder.
Denn abschließend sei noch gesagt, dass die Animationen gerade im Hinblick auf Anne Franks Perspektive teilweise sehr beeindruckend sind. Ihre zwischengestreuten Hirngespinste gestalten sich surreal und beängstigend. Die Männer der Wehrmacht sind geisterhafte Gestalten, mit emotionslosen Fratzen und leeren Augen. Ein Zug, der sie durch eine tote, bedrückende, höllische Wüste führt. Teilweise lässt der Stil an Pink Floyds “The Wall” denken. Dann aber hüpft Kitty wieder von Dach zu Dach und flitzt auf ausklappbaren Schlittschuhen über die zugefrorenen Kanäle Amsterdams.
Fazit
Während Animation und Intention von “Wo ist Anne Frank?” löblich und effektiv eingesetzt sind, tut man sich dennoch schwer. Insgesamt wirkt es so, als sei sich der Film nicht sicher, welchen Ansatzpunkt er letztendlich verfolgen wollte. Ist es eine Adaption des Tagebuchs selbst, oder von dessen Einfluss und Status? Der Wechsel zwischen den Perspektiven der beiden Mädchen wirkt, als sei der Film und sein Macher selbst unschlüssig, auf welche Herangehensweise er sich nun konzentrieren soll. Ab 24.2. im Kino.
Bewertung
(60/100)
Bild: (c) Polyfilm