Mit Brendan Frasers großem Comeback, drei Oscar-Nominierungen und dem Hauptpreis für den Besten Hauptdarsteller ist „The Whale“ in aller Munde, ab morgen ist das Drama auch bei uns im Kino zu sehen. Darren Aronofskys neuestes Projekt nimmt sich das gleichnamige Theaterstück von Samuel D. Hunter vor und bringt es auf die Leinwand. Darüber, ob sein erster Film seit dem kontroversen „Mother!“ ein wahrer Erfolg ist, lässt sich allerdings streiten.

Von Natascha Jurácsik

Charlie (Brendan Fraser) ist stark übergewichtig, unterrichtet einen Online-Kurs zu amerikanischer Literatur und trauert um seinen verstorbenen Partner Alan. Seinen Kummer begräbt er in Massen ungesundem Essen, was seine gute Freundin und Krankenschwester Liz (Hong Chau) verzweifeln lässt, nicht zuletzt wegen des immer schlechter werdenden Gesundheitszustands. Nach und nach treten verschiedene Charaktere in sein Leben, darunter der junge Missionar Thomas (Ty Simpkins), der ein Geheimnis verbirgt, und Charlies entfremdete Tochter Ellie (Sadie Sink), die zunächst nicht an einer Beziehung zu ihrem Vater interessiert ist.

(Theater-) Dramen fürs Kino zu adaptieren kann schwer sein, da sie durch ihre limitierten Settings und extensiven Dialoge als Film schnell monoton wirken. Als Kammerspiel ist diese Umsetzung von „The Whale“ definitiv besser gelungen als einige andere Beispiele, was zeigt, dass Aronofsky als Regisseur und Hunter als Autor gut zusammenarbeiten. Zwar gibt es auch hier einen deutlichen Fokus auf das gesprochene Wort, allerdings wird dies gekonnt ausbalanciert mit atmosphärischen Aufnahmen von Charlies Wohnung, den stillen, intimen Reaktionen der Figuren und einigen Erinnerungen in Form von verbildlichten Flashbacks. Das quadratische Bildformat unterstreicht das klaustrophobische Gefühl der Einengung, das in dem Apartment, welches vom Protagonisten nie verlassen wird, herrscht und lässt Charlies Körper noch massiver wirken. In jedem Bild kann man die hohe Produktionsqualität erkennen, was zeigt, dass Aronofsky etwas von Filmästhetik versteht. Mit gedämpften Farben, minimalistischem Sounddesign und langsamen Kamerabewegungen wird eine zutiefst melancholische Stimmung geschaffen, die durch Empathie für die Hauptfigur ergänzt wird.

Gleichzeitig fehlt dem Werk visuell allerdings jegliche Besonderheit. Der sonst so mutige Regisseur, der einige der eigenartigsten Kinofilme der letzten Jahre hervorbrachte, scheint seine persönliche Note vergessen zu haben, wodurch „The Whale“ zwar keineswegs schlecht ist, aber sich in keinem Moment als ein Aronofsky-Film erkennbar macht. Träge marschiert die Geschichte von einer Szene in die nächste und wiederholt die gleichen Themen stets aufs Neue. Zwar werden die zwischenmenschlichen Beziehungen der Akteure mehr oder weniger treffend dargestellt, doch immer wieder steigert sich sowohl die Handlung als auch der Dialog in die Übertreibung, was dem Gesamtwerk einen melodramatischen Ton verleiht, der teils sogar schmierig wirkt. Es hilft auch nicht, dass diese starke Sentimentalität dazu führt, dass der Versuch, im Publikum so viel Empathie wie möglich für Charlie zu wecken, ihn in einigen Szenen als beinah armselig wirken lässt. Aronofsky und Hunter schufen in ihrem Streben nach Realismus ein wahres Trauerspiel, obwohl die Geschichte selbst sehr viel Potential für einen wahrhaft originellen Film bietet.

Der rettende Aspekt von „The Whale“ und verdientes Ziel des meisten Lobs sind eindeutig die Schauspieler. Brendan Fraser zeigt sich in seiner Rolle als Charlie von seiner talentiertesten Seite und hat den Academy Award als bester Hauptdarsteller durchaus verdient. Trotz limitierter Mobilität durch den über 100 kg schweren Bodysuit, der ihn in einen stark übergewichtigen Mann verwandelte, verleiht er dem Charakter durch Mimik, subtiler Gestik und durch seine Stimme eine Tiefe, die bei einem weniger fähigen Schauspieler verloren gegangen wäre. Selbst die übertrieben emotionalen Momente funktionieren nur, weil Fraser sie mit viel Fingerspitzengefühl navigiert. Auch seine Kollegin Hong Chau stellt ihre Fähigkeiten zur Schau und vermittelt die komplexe Mischung aus Liebe, Mitleid und Frust, die Liz für ihren Freund empfindet, sehr geschickt. Ebenso darf man die junge Sadie Sink loben, die sich in ihrer Rolle der derben, sogar gemeinen Tochter als verheißungsvoller Hollywood-Nachwuchs zeigt, auch wenn ihre Figur hier und da etwas theatralisch wirkt, was aber vermutlich eher am Drehbuch liegt.

Fazit

Grandioses Casting, doch das besondere Etwas fehlt – Aronofsky ging mit seiner Umsetzung von „The Whale“ auf Nummer sicher und liefert ein passables Melodrama, das Großteils dank der schauspielerischen Leistungen funktioniert. Es ist wenig verwunderlich, warum der Film trotz einer packenden Story nur für drei Oscars nominiert wurde, davon zwei in Schauspiel-Kategorien und die dritte für bestes Makeup. Ungeachtet der verstörten Reaktionen zu seinem letzten Film „Mother!“ hätte sich der Regisseur definitiv mehr trauen sollen. Ab 27.4. im Kino.

Bewertung

Bewertung: 7 von 10.

(70/100)

Bild: (c) A24 /Sony Pictures