Um 2:17 in der Nacht verschwinden aus dem kleinen US-amerikanischen Städtchen Maybrook 17 Kinder. Sie werden nicht gewaltsam entführt, sondern sind, wie den Aufnahmen der Überwachungskameras der Häuser zu entnehmen ist, von selbst (aber auch aus freien Stücken?) in die Nacht hineingerannt und vom Dunkel verschluckt worden. Alle 17 Kinder sind in eine gemeinsame Schulklasse gegangen – aus der Klasse bleibt lediglich ein Schüler Alex Lilly (Cary Christopher) zurück. Mit diesen Informationen, aus dem Off von einer Kinderstimme erzählt, während man Kinder durch die Nacht sprinten sieht, beginnt der neue Horrorfilm „Weapons – Die Stunde des Verschwindens“ von Schauspieler/Regisseur Zach Cregger.
von Pascal Ehrlich
Cregger hat mit seinem ersten Horrofilm „Barbarian“ (2022) einen „Sleeper Hit“ gelandet. Der Film, dessen Marketingkampagne eher unscheinbar verlief, schaffte es das 10-fache seines Budgets einzuspielen. Das lag unter anderem sicherlich daran, dass er von KritikerInnen wie von ZuschauerInnen kontrovers besprochen wurde. Dementsprechend hoch sind die Erwartungen an seinen neuen Film gewesen, um den sich angeblich sogar ein Bieterwettstreit entfesselt hat, der – so munkelt man – dazu geführt hat, dass Jordan Peele, der neue Stern am Horrorgenrehimmel, sein Management gefeuert hat, nachdem diese sich die Rechte nicht sicher konnten. So weit, so Marketing – und das lief bei Warner Brothers auf Hochtouren. Mysteriöse Trailer und Fake-Webseiten wurden für den Film kreiert, um den Hype über die Verzögerungen, ausgelöst durch den SchauspielerInnen-Streik 2023, aufrechtzuerhalten.
„Weapons“: „Magnolia“ für Horror-Fans?
„Weapons“ selbst setzt nach der Tragödie an. Das Ereignisse – das Verschwinden der Kinder – hat schon stattgefunden und jetzt muss die Kleinstadtgemeinschaft mit diesem kollektiven Trauma umgehen. Um eine Art Panoramabild zu schaffen, entfaltet sich der Film anhand mehrerer Perspektiven. Alle Personen sind mehr oder weniger unmittelbar vom Verschwinden betroffen. Da wäre zuerst Justine Gandy (Julia Garner), die neu dazu gezogen Lehrerin der Kinder, die sofort als Zielscheibe für die Eltern wird, die in ihrer Trauer und ihrem Unverständnis einen Sündenbock suchen. Einer der Eltern Archer Graff (Josh Brolin) hat es besonders auf Justine abgesehen. Dazu kommen dann noch Paul Morgan (Alden Ehrenreich) der Ex-Freund von Justine und Polizist, sowie Andrew Marcus (Benedict Wong), der verständnisvolle Schuldirekter, James (Austin Abrams), ein drogensüchtiger Obdachloser und schlussendlich Alex Lilly, das Kind, das übriggeblieben ist.
Cregger nennt als Inspiration für „Weapons“ den Paul-Thomas-Anderson-Film „Magnolia“ (1999) – ein gewagter, wie schiefer Vergleich. In „Magnolia“ sind die verschiedenen Episoden durch Zufälligkeit bestimmt. Der Film ist geordnetes Chaos, wohingegen „Weapons“ lediglich den Anschein eines „Mystery-Puzzles“ erwecken möchte. Die Unterteilung des Films in Blickwinkel/Kapitel, die sicherlich auch eine Anlehnung „Pulp Fiction“ ist, soll einer Komplexitätserweiterung dienen, die über die Oberflächlichkeiten jedoch nicht hinweg zu täuschen vermag.
„Weapons“ ist kein „Twisty-Mindgame-Film“ bei dem sich zum Schluss erst alle Puzzlestücke zu einem großen Ganzen einfügen lassen. Seine Kapitelunterteilung ähnelt vielmehr einem Prozessablauf, bei dem jeder einzelne Schritt das Publikum näher zur Lösung des Rätsels führt. Während Fragmentierung oft Ambivalenzen schaffen soll, dient sie hier der Klarheit. Die Perspektiven greifen zwar öfters ineinander über, aber auch weniger geschulte FilmseherInnen durchschauen diesen Trick recht schnell.
Um den Spannungsbogen aufrechtzuerhalten, brechen fast alle Kapitel zu ihrem narrativen Höhepunkt ab, um dann ins nächste überzuleiten. Eine Art Herauszögerungsmethode, um die vorzeitige narratologische Ejakulation zu verhindern und die den filmischen Orgasmus noch intensiver machen soll. Leider lässt die Spannung schon nach der Hälfte der Kapitel nach und man kann sich ungefähr ausmalen, worauf das Mysterium hinauslaufen wird.
Aktuelle und universelle Themen
Thematisch bedient sich der Film bei diversesten zeitgenössischen wie auch universelle Themen. „Weapons“ ist sicherlich ein eklektischer Film, dem man anrechnen könnte, dass sich die vielen Blickwinkel mit jeweils verschiedenen Themen auseinandersetzen. Im Subtext des Horror-Mystery-Thrillers findet man Darstellungen von Polizeigewalt, Drogenprobleme und sogar einen kurzen Kommentar auf das Gesundheitssystem der USA. Die Behandlung dieser Themen bleibt jedoch so oberflächlich auf narrativer wie auch ästhetischer Ebene, dass der Film nichts Neues zu den geläufigen Diskursen hinzufügen kann.

Interessanter wird es, wenn es um das Thema Trauer- und Traumabewältigung geht. Das Verschwinden der Kinder löst unweigerlich Assoziationen mit „school shootings“ in den USA aus. In einer besonders skurrilen Szene erscheint auch ein riesiges Maschinengewehr über Josh Brolins Haus. Dass Cregger diese kollektive Trauer und den damit verbundenen Horror nicht versucht über den Weg des Traumas (eine heutzutage beliebte Konvention des Genres) miteinander zu verflechten, sondern den Diskurs ins Übernatürliche und Okkulte verlagert hat, fügt der ganzen Auseinandersetzung etwas Neues hinzu.
Die Kleinstadt Maybrook hätte dabei als Mikrokosmos dienen können, um etwaige Massenpaniken, wie man sie aus den 80er Jahren kennt, zu dekonstruieren und zu entlarven. Das passiert aber nicht. Das Böse in „Weapons“ ist eine alte Frau, Tante Gladys Lilly (Amy Madigan), die, schwer krank, ins Haus von Alex Lilly einzieht. Um am Leben zu bleiben bzw. ihre Krankheit zu heilen – der Film bleibt da eher vage – benötigt sie die Kinder aus Alex‘ Klasse, die sie mit Hilfe eines Art Voodoo-Zaubers zu sich in den Keller lockt. Wie schon bei „Barbarian“ geht das Böse hier vom Alten und vom Weiblichen aus, hinzu kommt noch das Krankhafte – die in Form von Gladys in die scheinbar heile Welt der Vororte eindringen und dementsprechend vernichtet werden müssen.
Der suburbane Horror
Am effektivsten ist „Weapons“ in seinen Betrachtungen des suburbanen Horrors, der, wie auch schon in abgewandelter Form in „Barbarian“ – da als post-urbaner Horror Detroits – , dem Spießbürgertum der Vororte eingeschrieben ist. Woher rührt dieser Suburbia-Horror? Der Vorort gleicht einem abgeschlossenen System. Ein Mikrokosmos, in dem alle Elemente bekannt sind und in scheinbarer Harmonie leben. Man kennt sich in Maybrook. Doch die größte Angst eines abgeschlossenen Systems, dessen urbanes Äquivalent eine „Gated Community“ wäre, besteht in der ständigen Bedrohung, dass etwas Fremdes von Außen eindringen könnte.
Die Lehrerin Justine Gandy, die Neue oder auch Fremde in der Gemeinschaft, wird direkt am Anfang des Films, während einer Versammlung, die als eine kollektive Trauerbewältigung für die Eltern angedacht ist, von ebendiesen an den Pranger gestellt. Das Motiv der Hexenjagd – man kann hier sicherlich auch an Arthur Millers „The Crucible“ denken – setzt eine Art Klammer, die den Film beginnt und auch beendet. Zum Schluss wird nämlich Gladys nach klassischer Hexenjagd-Konvention durch den Vorort gejagt. Dabei stürmt sie von einem Haus ins nächste, was erst durch den klassischen Aufbau des Vororts, bei dem ein Haus an das nächste grenzt, möglich wird.
Fazit
„Weapons“ ist sicherlich kein „Magnolia“. Der ausgerufene epische Anspruch scheint auch die falsche Erwartungshaltung an diesen Film zu evozieren. In seinen besten Moment ist er ein kompetenter Genrefilm, der mal mehr mal weniger erfolgreich mit seinen verschiedenen Versatzstücken zu spielen weiß. Darüber hinaus gibt es einige gelungenen Horrorelemente; unter anderem das Bild der laufenden Kinder – die irgendwo zwischen Naruto Shippuden und den Titanen aus „Attack on Titan“ erinnern –in ihrer Euphorie eine tatsächlich unheimliche, schwierig zu definierende Aura besitzen. Leider vermag der Film nicht, die Summe seiner Teile zu sein. Schlussendlich ist „Weapons“ ein aufgeblasener Film, der sich als zu oberflächlich und banal entpuppt.
Bewertung
(60/100)
„Weapons“ ist seit 7.8.2025 im Kino zu sehen.
„Weapons“ (2025) – Trailer
Bilder: (c) Warner Bros. Pictures
