In den letzten Tagen und Wochen kam es auf der Facebook-Seite von Film plus Kritik – nicht zum ersten Mal – zu wilden Auseinandersetzungen im Kommentarbereich. Besonders der Bericht zu einem rassistisch motivierten Übergriff auf den Schauspieler Tutty Tran ließ die Wogen hochgehen: Viele zeigten Mitgefühl und Empörung angesichts des Vorfalls. Andere wiederum regierten mit Häme, Unglauben, offenem Rassismus oder purem Hass.
Statement von Christian Klosz (Herausgeber & Chefredakteur Film plus Kritik)
Nun gibt es in einem solchen Fall legitime Fragen, die man stellen kann und darf: Wann fand der Vorfall statt, was ist über die Täter bekannt, wurde das Ganze polizeilich dokumentiert? Das ist zulässig, selbst wenn sich dahinter das Motiv des Zweifels gegenüber Gewalt-Opfern oder Opfern von Rassismus verbirgt, die erst einmal “beweisen” müssten, bevor ihnen geglaubt werden kann. Trotzdem: In einem liberalen Rechtsstaat sind solche Fragen als Ausdruck von Meinungsfreiheit möglich, selbst wann man die Motive dahinter nicht teilt.
Was allerdings Grenzen überschreitet, ist, wenn Gewaltopfer ausgelacht werden und lächerlich gemacht werden, in Worten oder über Emoji-Reaktionen. Wenn sie entmenschlicht werden. Statements wie “der hat es ja verdient” sind Ausdruck einer empathielosen und barbarischen moralischen, intellektuellen und emotionalen Verkommenheit und schlicht abartig. Auch kruder Whataboutisms – “was ist mit den tausenden deutschen Opfern von ausländischen Messerstechern” (?) – ist kein berechtigter Einwand, sondern durch falsche Empörung getarnte Unmenschlichkeit.
Jene, die derartige Reaktionen an den Tag legen, haben den Boden des Anstands, der Menschlichkeit, humanistischer Werte verlassen. Sie agieren meist affektbasiert und sind für rationale Argumente kaum mehr zugänglich.
Die einzig mögliche Reaktion darauf ist, sie aus dem Diskurs auszuschließen, was im konkreten Fall bedeutet: Entfernen der Kommentare und/oder Blockierung der Accounts. Nötig ist das deshalb, weil Facebook, wie viele andere Plattformen, derartige Hassbotschaften nicht mehr einschränken und sie als verquere “Meinungsfreiheit” gelten lassen. Doch Meinungsfreiheit heißt nicht Hassfreiheit.
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Meinungsfreiheit heißt nicht Hassfreiheit
Unter dem Eindruck faschistoider Ideologien, die in Deutschland von Teilen der AfD vertreten werden, in den USA von Trump und der MAGA-Bewegung, denen sich große Plattformen wie Facebook (Meta) weitgehend gebeugt haben, fand eine Um- und Entwertung der Werte statt, die für eine liberale, demokratische Gesellschaft stehen. Soziale Medien fungieren als Brandbeschleuniger, die jedem ahnungslosen Idioten die Illusion geben, dass alles, was er von sich gibt, legitim sei und hat Gewicht hätte, einzig dadurch, weil er es äußern dürfe. Geltung bekommt es dadurch, dass es (öffentlich) gesagt werden kann und will. Das Phänomen ist Ausdruck einer Relativierung des Wahrheitsbegriffes und eines Nihilismus der Unmenschlichkeit, der Menschen, die ihre Menschlichkeit aufgegeben haben, Geltung verleihen. Diese ihre Unmenschlichkeiten, oft “argumentativ” untermauert durch (belegbare) Lügen und faktisch falsche Behauptungen, tarnen sie unter dem Deckmantel einer (bewusst) falsch oder nicht verstandenen “Meinungsfreiheit”: “Das darf man wohl noch sagen dürfen!”
Doch wer andere entmenschlicht, handelt nicht im Sinne der Meinungsfreiheit, sondern im Sinne des Faschismus.
Bereits Hannah Arendt wies in ihren Schriften über Totalitarismus und Politik auf das “Wahrlügen” hin, bei der die Lüge nicht nur eine Verfälschung der Wahrheit ist, sondern eine „neue, teuflischste Variante“ darstellt, die darauf abzielt, die Realität umfassend zu verzerren, indem Fakten so lange manipuliert und verdreht werden, bis sie als neue „Wahrheit“ akzeptiert werden. Ähnliche Phänomene beobachten wir seit Jahren in Politik und Gesellschaft, ihre Folgen und Kollateralschäden in der Welt Sozialer Medien. Recht hat in dieser neuen, pervertierten und verkommenen Form des sozialen Diskurses nicht der mit dem besseren Argument sondern der, der am lautesten schreit.
Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!
Arendt sprach auch von dem “Zwecksbündnis” zwischen Mob und Eliten, und auch das lässt sich heute insbesondere in Sozialen Medien beobachten: Tech-Milliardäre gestalten digitale Plattformen nach Regeln, die auf maximalen Profit abzielen, der durch maximale Interaktion erreicht wird; der Inhalt dieser Interaktion ist zweitrangig. Der Social Media-Mob der Gegenwart ist manipulierter Spielball dieser Eliten, Mittel zum Zweck, ohne dies zu erkennen. Absurderweise verstehen sich viele der “Meinungsfreiheitskämpfer” heute als “erleuchtete Selbstdenker”, die als einzige maligne Intentionen einer (vermeintlichen) Elite durchschaut hätten. Das Gegenteil ist der Fall. Wem eingeredet wird, dass er selbst dachte, was ihm eingeredet wurde, kommt nicht auf die Idee, tatsächlich selbst zu denken und dem aufklärerischen Leitspruch Sapere aude – in Kant’scher Interpretation Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! – zu folgen.
Klar ist aber auch, dass die einzige Möglichkeit, diesen Fehlentwicklungen beizukommen, ist, klare Kante zu zeigen. Symbolische und konkrete STOP-Schilder aufzustellen. Nicht vor dem Mob einzuknicken (selbst wenn das im konkreten Fall den Verlust von Publikum bedeutet).
Die aktuellen, hochspannenden Vorgänge in den USA (4 Republikaner zwangen quasi den Rest ihrer Partei – und Trump – dazu, den Widerstand gegen die Veröffentlichung der Epstein-Filmes aufzugeben, aber auch der Fall Jimmy Kimmel) belegen, dass dies der einzige Weg ist. Und dass er erfolgreich sein kann.
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Titelbild: KI-generiert, (c) fpk
