Filme spalten die Gemüter, das ist Fakt. In der gesamten Historie des Bewegtbildes gibt es keinen einzigen Film, der ausschließlich Fürsprecher oder Gegner aufweisen kann. Und das ist auch vollkommen verständlich, denn wer sich vor Augen hält wie viele Faktoren in der Bewertung eine Rolle spielen, erkennt schnell, dass schon kleinste Abweichungen einen entscheidenden Unterschied machen können. Person 1 hatte einen schlechten Tag und wird von einer romantischen Komödie vollends aufheitert. „Bester Film seit langem, 10/10!“. Person 2 hat auf dem Weg die Bahn verpasst, kommt demnach verspätet im Saal an, verschüttet noch sein Getränk und wird sich lange an den Besuch erinnern – wohl aber kaum positiv über den Film sprechen. Verschiedene Geschmäcker und Empfindungen sind normal, vollkommen okay und letztlich auch das, was uns zu lebhaften Diskussionen anregt. Was sich momentan allerdings rund um Greta Gerwigs relativ harmlose Satire „Barbie“ zuträgt, ist fernab jedweder gesunder Diskussionskultur.
Schon mit den ersten Bildern war der Kleinkrieg eröffnet: Wo andere sich köstlich über einen blondierten Ryan Gosling in quietschbunter Klamotte amüsieren konnten, stieg anderen beim bloßen Anblick die Zornesröte in die Backen. Das ist doch nicht männlich, wie kann man so einen Scheiß gucken, wer für sowas ins Kino geht, gehört geohrfeigt – und so weiter. Einige werden nun lachen, aber das ist lediglich ein kurzer und vor allem harmloser Einblick in die meist maskulinen Hasstiraden, die dem Film von Minute Eins entgegenschlugen. Das Werk selbst reagierte gelassen. „Dieser Film ist für alle, die Barbie lieben und für alle, die Barbie hassen.“ Die Marketingabteilung hatte offenbar schon geahnt, was auf sie zukommt – oder sogar drauf spekuliert. Denn wie sagt man so schön? Auch schlechte publicity ist publicity. Und entgegen aller Unkenrufe der cholerisch veranlagten Nachfahren von Nostradamus sollte sich „Barbie“ zu einem der größten Kinoerfolge des ganzen Jahres entwickeln – und hat erst kürzlich die Milliardengrenze geknackt.

Wasser auf die Mühlen derer, die sich auf den Film gefreut hatten und ein Dorn im Auge aller, die sich von einem Spielfilm rund um eine blonde Plastikfigur offenbar arg in ihrer Männlichkeit angegriffen fühlen. Wer dachte, dass die Parolen vor dem Filmstart bereits den Gipfel der Sinnlosigkeit erreicht hatten, sollte aktuelle Kommentarspalten unter relevanten Beiträgen besser meiden. Wie zu Hochphasen der Pandemie schlagen sich die Leute die Köpfe ein und übertreffen sich in den wildesten Theorien über den Zusammenhang zwischen Filmauswahl beim Kinobesuch und kognitiver Fähigkeit der Zuschauerschaft. Man habe die Kontrolle über sein Leben verloren, man sei eine geisteskranke Marionette der Politik, man unterstütze Männerhass und man sei pädophil, wenn man solche Filme finanziell auch noch unterstütze – Vorwürfe, mit denen sich Fans oder zumindest Sympathisanten zuhauf konfrontiert sehen. Besonders erstaunlich daran ist, dass ebenjene Vorwürfe mehrheitlich von denen geäußert werden, die den Film nicht einmal gesehen haben. Ich zitiere: „Ich habe den Film nach zehn Minuten abgebrochen, der größte Kernschrott den ich je gesehen habe!!“ Wie man einen Film im Kino nach zehn Minuten „abbricht“ sei dahingestellt, aber der Tenor dieser Botschaften ist fast immer derselbe. Wer nun dagegen argumentiert oder gar zu bedenken gibt, dass der Trailer oder die Eröffnungsszene womöglich keine gesunde Basis für ein Urteil sind, wird beim Anblick vom „schwulen Ken“ natürlich „nass im Schritt“. Wisst ihr Bescheid. Und überhaupt, wieso spricht eigentlich niemand über den wichtigen Film SOUND OF FREEDOM?!
Nicht nur, dass derlei Konversationen jeglicher Grundlage entbehren, weil die Gesprächspartner auf komplett anderen Ebenen agieren, in den meisten Fällen sind sie schlicht beleidigend, übergriffig und abartig – um die Barbie mal beim Namen zu nennen. Wer es als erwachsener Mensch nötig hat sich ein Urteil über komplett fremde Personen zu erdreisten, und dafür nicht mehr zurate ziehen kann als einen Kinobesuch, sollte zwingend über seine Einstellung zum Leben und seine Fähigkeit der sozialen Interaktion nachdenken. Niemand wird gezwungen diesen Film zu schauen, geschweige denn ihn zu mögen. Wer in einem Diskurs ernstgenommen werden möchte, sollte aber zumindest in der Lage sein sich ein eigenes Urteil zu bilden statt wild fluchend irgendwelche YouTube Videos zu verlinken, in denen fachfremde Mental-Coaches darüber schwadronieren, wie „gefährlich“ der Film denn sei und dass er die Gesellschaft entzweien würde. Nein liebe Kinder, das macht ihr schon indem ihr ungefragt auf fremde Menschen losgeht und diese in der sonnigen Anonymität des Internets denunziert. Natürlich steht es jedem zu, den Film zu kritisieren – aber wie immer macht der Ton die Musik.
Die Gründe für ein solches Verhalten sind sicherlich genauso mannigfaltig wie die Gründe, warum man „Barbie“ nun mag oder nichts damit anfangen kann. Die eigene Erwartungshaltung an den Film spielt hier ebenso mit rein wie oben angedeutete Faktoren, und dass der Film am Ende die Geschmäcker teilen würde, war so sicher wie das Amen in der Kirche. Aus persönlicher Sicht sei an dieser Stelle aber eindringlich an den gesunden Menschenverstand appelliert, der irgendwo in jedem schlummert: Hört auf die zu beleidigen, die euren Filmgeschmack nicht teilen und es schaffen ohne Vorurteile Filme zu schauen. Ohne „Barbie“ gäbe es womöglich irgendwann keinen neuen Film xy, für den ihr euch wiederum begeistern könnt. Filmkultur lebt, und momentan ist sie pink. Und das ist fantastisch! (Cliff Lina)
Eine ausführliche Kritik zum Film findet ihr hier.

Bilder: Thumbnail Fotomontage / (c) Warner Bros.
Hinweis: Dieser Kommentar stellt die Meinung einer Einzelperson dar und lässt in keinster Weise Rückschlüsse auf die Meinung oder Werte der Redaktion von Film plus Kritik zu.
Perfekter Titel 😂👍🏻