Bereits letzte Woche haben wir vom Ethnocineca, dem Festival des internationalen Dokumentarfilms in Wien, berichtet. Bis inklusive heute lassen sich über 60 internationale Werke bestaunen, die den Blick auf verschiedenste soziale und kulturelle Zusammenhänge richten.

Gestern, am 28.5., war “Obscuro Barroco” von der griechischen Regisseurin Evangelia Kranioti zu sehen, eine Mischform aus Kunstfilm, Dokumentarfilm und Performance-Art, in dessen Zentrum die brasilianische Transgender-Kunstfigur Luana Muniz steht. Der Film hat keine Handlung im eigentlichen Sinne, sondern ist vielmehr ein filmischer Essay, der anhand der Erzählungen und Aufnahmen des Protagonisten über Motive wie Identität, Geschlecht, Körperlichkeit, Wahrheit und Fiktion sinniert und reflektiert. All das findet vor der Kulisse von Rio de Janeiro statt, dieser bunten und lebendigen Stadt, die so selbst zum Protagonisten wird.
Zuerst zum Positiven: “Obscuro Barroco” wartet mit teils atemberaubenden Aufnahmen von der Stadt am Zuckerhut auf, in Kombination mit dem gelungenen Soundtrack ergeben sich immer wieder sehr ansehnliche Einstellungen und Szenerien, die vor Schönheit geradezu platzen. Die Tatsache, dass der Film ohne klassische Handlung auskommt, ist an sich nicht das Problem. Über weite Strecken gilt für das Dargestellte: Nomen est omen, die Attribute “obskur” und “barock” beschreiben die Aufnahmen tatsächlich recht treffend.

Mehr ins Gewicht fällt, dass kaum emotionale oder psychologische Tiefe in diesem bizarren Sinnesrausch zu finden ist. Man staunt über die schönen Bilder – fragt sich aber irgendwann doch, was einem der Film bzw. sein Protagonist denn nun eigentlich sagen will. Weder geben die Äußerungen von Muniz Rückschlüsse auf den Ursprung der Kunstfigur, auf psychologische Motive, noch tatsächliche oder erhellende Einblicke in ihren Alltag und ihre Lebensrealität. “Obscuro Barroco” versteht sich mehr als kryptisch-poetische Reflexion zu allgemeinen, großen Themen denn als klassischer Dokumentarfilm, der eine interessante Persönlichkeit porträtieren oder Einblicke in unbekannte Welten bieten würde.
Ob seiner Schauwerte ist der Film als durchaus gelungen zu bezeichnen, wer sich an schrägen Einstellungen und einem gewissen Hang zum Artifiziellen erfreuen kann, wird auch hier auf seine Kosten kommen. Wer sich Einblicke in unbekannte Welten oder dramaturgische Tiefe erwartet, wird eher enttäuscht den Kinosaal verlassen. Zusammengefasst: Geschmackssache.
Rating:
57/100
Bilder: © Obscuro Barroco 2018