Ist es moralisch vertretbar ein einzelnes Menschenleben zu opfern wenn die Möglichkeit bestünde dadurch andere Individuen zu retten? Inwieweit beeinflussen die Eigenschaften der betroffenen Charaktere die Beantwortung? Und ist es überhaupt ethisch korrekt über solche Entscheidungen zu sinnieren? Fragen, mit denen sich unter anderem schon bekannte Philosophen wie Immanuel Kant beschäftigten, und auf die es bis dato keine allumfassende Antworten gibt.

von Cliff Brockerhoff

Aufgegriffen werden diese Gedankenansätze in „ I am mother“, dem Erstlingswerk von Grant Sputore, das neben einem breiten Release auf Netflix auch vereinzelte Kinostarts erhalten hat. Die Grundprämisse ist dabei nicht neu und schnell erzählt: Nach einer Apokalypse wurde der Bestand der Bevölkerung ausgelöscht, doch die Menschheit soll eine zweite Chance erhalten. In einem eigens für dieses Szenario erbauten Bunker soll eine künstliche Intelligenz namens „Mutter“ eine neue, bessere Gesellschaft erschaffen. Hunderte Embryonen wurden dafür eingelagert und sollen nach und nach das Licht der Welt erblicken. Der kontaminierte Außenbereich wurde zur Sperrzone erklärt, und anfangs geht die Idee auf. Als aber plötzlich eine verletzte Frau an die Tore des Bunkers klopft, ändert sich die Situation aber schlagartig.

Mit seinem minimalistischen Setting erinnert das Werk nicht ganz unbegründet an „Ex Machina“ oder „Moon“, bei denen das Gewicht der Story ebenfalls auf wenige Schultern verteilt wurde. Im Zusammenspiel mit den klaustrophobischen Räumlichkeiten entsteht so eine intensive Intimität, die dem Zuschauer dabei verhilft schnell eine Bindung zu den Protagonisten aufzubauen. Diese beschränken sich lange Zeit auf die nicht namentliche erwähnte „Tochter“ und die schon erwähnte „Mutter“, die in ihrer mechanischen Form für Fürsorge und Erziehung verantwortlich ist. Besonders positiv fällt dabei auf, dass die künstliche Intelligenz schleichend in den Hintergrund gerät und beide Personen gleichwertig wahrgenommen werden. Die einzige Frage die allseits präsent im Raum schwebt, ist die nach der Empfindungsfähigkeit einer mechanischen Präsenz. Kann eine Maschine wirklich eine vollwertige Mutter sein? Kann ein Roboter Gefühle haben? Fragen, die letztlich nur jeder für sich selbst beantworten kann.

Die Stimmung des Films ändert sich ungefähr nach der Hälfte der Laufzeit als eine Frau mit Schussverletzung, gespielt von Oscar-Preisträgerin Hillary Swank, den Ort des Geschehens betritt. Die Motive der Verwundeten bleiben lange nebulös, auch wenn der Fall anfangs offensichtlich erscheint. Der Film schafft es aber dennoch die Spannung lange Zeit aufrecht zu erhalten und überrascht durchaus mit dem einen oder anderen Twist. Schade ist nur, dass ganz am Anfang das Stilmittel des Foreshadowing etwas zu plakativ genutzt wird und erfahrene SciFi-Fans wohl schon ab diesem Zeitpunkt wissen, wo der Hase im Pfeffer liegt. Angesichts der Tatsache, dass Sputore hier seinen ersten Langspielfilm vorlegt, ist der Fehler aber verzeihlich und kann das Seherlebnis nur marginal beeinflussen. Dafür ist die Stimmung zu eindringlich und die Leistung der Schauspieler zu gut. Allesamt eingebettet in eine unterkühlte, sterile Optik, die in wohltemperiertem Kontrast zur warmen, zwischenmenschlichen Handlungsebene steht, die erst gegen Ende ein bisschen den Faden verliert.

Fazit

„I am mother“ wirft am Ende mehr Fragen auf als er beantwortet, allerdings nicht weil die Story in sich keine Auflösung beinhalten würde. Vielmehr sind es die philosophisch angehauchten Gedankenspiele, die den Film zum Kopfkino werden lassen und auch nach dem Abspann nachwirken. Während seiner knapp zweistündigen Laufzeit bietet das Kammerspiel keinen Platz für Langeweile und entpuppt sich als angenehmer Genremix, der sowohl Science-Fiction affinen Zuschauern, als auch Betrachtern mit Hang zum dramaturgisch wertvollen Aufbau zu gefallen weiß.

Bewertung

7 von 10 Punkten

Bilder: ©Concorde Filmverleih