„Lawrence Anyways“, „Girl“ oder „The Danish Girl“ sind nur einige Beispiele für bemerkenswerte Dramen, die die beschwerliche Suche nach Geschlechteridentität ihrer Protagonisten porträtieren und die Wandlung aus der Perspektive der Betroffenen darstellt. Was aber fühlt eine Elfjährige, wenn sich der Vater entscheidet, fortan als Frau leben zu wollen? Und welche Auswirkungen hat das auf die eigentlich total normale Familie? Malou Reymann versucht genau das in ihrem Leinwanddebüt zu beantworten. Basierend auf den eigenen Erfahrungen und Erlebnissen mit ihrem Vater geht sie mit ihrem Film, der bereits auf dem Filmfest in Rotterdam den „Big Screen Competition“ Preis gewann, neue Wege und zeigt die Verunsicherung und Ängste, die die Familienmitglieder erleben und vor welche Herausforderungen die Vater-Tochter Beziehung gestellt wird.
von Madeleine Eger
Eigentlich war alles wie immer. Normal eben. Emma (Kaya Toft Loholt) und ihre Schwester Caro (Rigmor Ranthe) dürfen sich sogar endlich den Wunsch eines eigenen Hundes erfüllen. Doch genau an dem Tag kommt es anders als gedacht und aus dem harmonischen Familienereignis wird ein frostiges Nebeneinander, das gerade bei Emma für Ratlosigkeit sorgt. Als ihre Mutter Helle (Neel Rønholt) kurz darauf mit der bevorstehenden Scheidung der Eltern herausplatzt und offenbart, dass ihr Vater Thomas (Mikkel Boe Følsgaard) bereits vieles in die Wege geleitet hat, um in Zukunft als Frau leben zu können, gerät das Familienleben völlig aus den Fugen und Emma weiß gar nicht mehr, ob sie überhaupt noch einen Vater hat.
Dass der Film von Malou Reymann ein sehr persönlicher geworden ist, merkt man dem Transgender-Drama augenblicklich an, wenn der Einstieg über „alte“ Familienaufnahmen beginnt (allerdings nicht ihre eigenen) und im weiteren Verlauf zwischen diesen Rückblicken und der aktuellen Situation immer wieder hin und her springt. Der empfundene Konflikt zwischen den beiden “Normalitäten” bzw. dem, was Emma als Normalität empfand und dem, dem sie nun mit Angst und Verunsicherung begegnet, wird durch dieses gewählte Stilmittel für den Zuschauer verständlicher und macht es um einiges leichter, sich vollständig in die Figur des Mädchens (und damit in die Erlebnisse der Regisseurin) einzufühlen.
Die junge Schauspielerin Kaya Toft Loholt ruft dafür eine überzeugende und so selten gesehen Leistung ab und lässt das Publikum in jeder Minute an ihren Gefühlen und unausgesprochenen Gedanken teilhaben. Dabei sieht man sowohl die Unsicherheit, wie sie mit ihrem Vater umgehen soll, als auch die Neugier herauszufinden, wie ihr Vater sich verändert hat – aber auch die Scham, ihn nach den angleichenden Operationen tatsächlich darauf anzusprechen, was (nun) Agnete beispielsweise mit dem „Ausruhen“ meint oder ob er/sie jetzt auch die Periode bekommt. Dass es sich bei den Ruhepause um Dilatationsübungen handelt, erfährt Emma von ihrer großen Schwester, die nicht nur für die Elfjährige hinsichtlich ihrer Aufgeschlossenheit ein großes Vorbild ist, sondern auch für all diejenigen, die bisher mit dem Thema noch Berührungsängste hegen.

Dass aber Ängste durchaus legitim sind, zeigt die Beziehung von Thomas/Agnete und Emma deutlich. Mehr und mehr bröckelt die einst innige Verbindung der beiden. Als das Mädchen mehrfach hinsichtlich gemeinsamer Unternehmungen vor den Kopf gestoßen wird, ist man aufgrund der Erzählweise geneigt, die Enttäuschung aufzusaugen und Unverständnis zu entwickeln. Gerade dieser Aspekt ist für den Film von großer Bedeutung und reichert die Geschichte in ihrer Komplexität noch zusätzlich an, denn Emma ist gleichzeitig auch alles andere als das stereotype Mädchen. Es illustriert auch, dass das Mädchen noch nicht richtig weiß, wer Agnete eigentlich ist und vielleicht auch noch gedanklich an einer Zeit festhält, wo für sie alles eindeutig war.
Damit kreiert die Regisseurin ebenso sensible wie wirksame Augenblicke, an denen Emma emotional wächst. Reymann bannt ihre Geschichte mit fantastischen Darstellern und viel Herz auf die Leinwand und bietet dabei Gelegenheiten zum lachen, weinen und zeigt, dass Emma, Thomas/Agnete und Co. trotz aller ungewöhnlichen Umstände am Ende immer noch eins sind: nämlich die total normale Familie.
Fazit
Ein herzerwärmendes Familienporträt, das mit erstklassigen Schauspielern aufwartet und feinfühlig beweist, dass es perfekte Normalität auch abseits der Norm gibt.