Johannes Naber ist in seinem neuesten Film auf der Suche nach der Wahrheit. Viel mehr noch: Er ist auf der Suche nach dem Wesen der Wahrheit, ihrer Bedeutung und ihrem Ist-Zustand. Während man sich heutzutage überall Trumpschen Lügen und anderen Fake News ausgesetzt sieht, entscheidet sich Naber zur Einordnung für den historischen Blick zurück. Die Zuschauerinnen und Zuschauer tauchen ein in die verwirrenden Jahre um die Jahrtausendwende, in denen zwischen 9/11 und dem Irak-Krieg die Konturen der Wahrheit schon einmal sehr unscharf wurden. Seine (leider) wahre Geschichte handelt von den Verflechtungen der Bundesrepublik Deutschland in das Lügengebilde, das den Nahen Osten endgültig ins Chaos stürzen sollte. Doch ist aus dieser fast schon journalistisch anmutenden Prämisse auch ein sehenswerter Film geworden?
von Marius Ochs
Dass Naber schwarze Komödien mit einer gesellschaftskritischen Botschaft beherrscht, hat er mit dem großartigen „Zeit der Kannibalen“ schon unter Beweis gestellt. Doch anstatt erneut den Kapitalismus in den Fokus der Kritik zu stellen, handelt es sich bei „Curveball“ um eine Studie über die deutsche Mentalität. Im Deutschen Bundesnachrichtendienst gilt: Anweisungen sind zu befolgen, denn die Karriere steht an erster Stelle. Das geringe internationale Ansehen der Behörde im Vergleich zur CIA oder dem britischen MI6 soll aufgebessert werden, und wenn dafür offensichtliche Unwahrheiten vertuscht werden müssen – sei’s drum.So entwickelt sich die Geschichte des falschen irakischen Informanten, dessen erfundene Geschichte von mobilen Biowaffen-Fabriken einen entscheidenden Beitrag zur Kriegserklärung der USA leistet, zu einer Realsatire, deren humoristisches Potential so subtil ist, dass man nie genau weiß, ob ein Lachen gerade überhaupt angebracht ist.

Kurz gesagt: Hier werden Missstände innerhalb des deutschen Systems aufgedeckt und die Rolle Deutschlands in dieser historischen Lüge wird außergewöhnlich kritisch beleuchtet. Allein schon deshalb ist der Film eine lohnenswerte, gar bildende Erfahrung. Doch genau diese authentische Rekonstruktion der Ereignisse geht zulasten des Pacings. Mehr als einmal lässt sich der Film ein wenig zu viel Zeit, sodass der Zuschauer Gefahr läuft nicht die volle immersive Erfahrung erleben zu können. „Curveball“ schafft es deshalb auch nicht, vollends zu überzeugen. Der subtile Humor reicht stellenweise einfach nicht, um das mangelnde Tempo auszugleichen. Auch manche Randgeschichten fühlen sich ein wenig zu konstruiert an und schaden so dem eigenen Anspruch eine Realsatire zu schaffen, die gleichzeitig unterhalten und eine nachvollziehbare Objektivität schaffen soll.
Trotzdem: Der Film macht, ganz im Gegensatz zu den Protagonisten, einiges richtig. Diese sind hervorragend gespielt von Sebastian Blomberg und Dar Salim. Beiden scheinen die richtigen Antworten auf all die Lügen, all die Scheinheiligkeit um sie herum gefunden zu haben: Alkohol und Zigaretten, Zigaretten und Alkohol. Eine Freude, dabei zuzusehen, wie vor ihren Augen die ganze Situation immer skurriler und unkontrollierbarer wird.

Fazit
„Curveball“ etabliert Johannes Naber als eine der interessantesten Stimmen im deutschen Kino. Ihm gelingt ein Bürokratie- und Agentenfilm von internationalem Format, der trotz Längen immer unterhält. Das Thema, Wahrheit und ihre Bedeutung, ist so relevant wie nie, sodass sich bei der Sichtung die Frage aufdrängt, welche Gefahren das selbstgefällige „Mit-dem-Finger-auf-andere-zeigen“ birgt. Gesellschaftskritisches, politisches und relevantes Kino mit Bildungsauftrag, das schonungslos einen unschönen Teil der jüngeren Geschichte beleuchtet. Trotz fehlendem Tempo ist Naber hier ein wirklich bemerkenswerter Film gelungen.
Bewertung
(74/100)
Bilder: ©Filmwelt