Al Capone ist ein Mythos, und es gibt wenige historische Figuren, die so ausführlich in der amerikanischen Öffentlichkeit rezipiert wurden. Die reale Person Alphonse „Al“ Capone ist dabei spätestens seit Brian de Palmas „Scarface“ weniger interessant als seine unterschiedlichen Leinwand-Interpretationen. Er wurde zum Symbol für eine andere, perverse Form des amerikanischen Traums: Reichtum, auch wenn es Menschenleben kostet. Regisseur Josh Trank, der mit „Chronicle“ und „Fantastic Four“ hauptsächlich für Superhelden-Filme bekannt wurde, betrachtet die Legende jetzt am Ende ihres Lebens. Von Syphilis gezeichnet, zeigt „Capone“ den Gangster-Boss kurz vor dem Tod. Der Mythos wird dekonstruiert.

von Marius Ochs

Tom Hardy spielt den dementen Al Capone meist sitzend und mit einem abgebrannten Zigarrenstummel im Mund. Eklig, schwitzig, bleich: Der Glanz vergangener Tage ist verloren. Nur ein gigantisches Anwesen ist ihm und seiner Familie noch geblieben. Doch Statuen und Gemälde werden verkauft, zu groß sind die Schulden. So schaut Hardys Al Capone mit blutunterlaufenen Augen dabei zu, wie die Erfolge seines Lebens nach und nach verschwinden. Gleichzeitig gibt er immer mehr dem Verfolgungswahn und der Wut über das Vergessen nach.

Es ist das Ende eines gefährlichen Lebens. Das ständige Gefühl von Bedrohung übersetzt Trank in eine subtile Horror-Atmosphäre. In „Capone“ werden die Albträume eines senilen Kriminellen zur Realität. Doch der Film scheitert stellenweise an der Umsetzung genau dieser Traumlogik. Einige Szenen haben keine Struktur, kein Ziel, plätschern vor sich hin. Andere zeigen die Realität unmissverständlich, das Subtile geht verloren. So schwankt der Film zwischen einer starken, hypnotisierenden Atmosphäre und einer unfokussierten, überladenen Handlung, die im letzten Drittel zu viel explizit auflöst. Hier wäre weniger Klarheit konsequenter gewesen.

In „Capone“ steckt dabei durchaus ein ähnlicher Ansatz wie in Martin Scorseses „The Irishman“. Der Mafiafilm-Meister Scorsese schickte seine schicken, reichen und legendären Mobster ins Altersheim. In „Capone“ wird der titelgebende Gangster zu Hause gepflegt. Der Verfall eines Bewusstseins durch Demenz ist das perfekte Szenario, um zu zeigen, was eine gewalttätige Auslegung des Strebens nach Reichtum und Macht am Ende anrichtet. So hätte aus dem Film ein interessanter Beitrag zur Entwicklung des Mythos werden können, doch Trank bleibt seiner Form nicht treu. Gute, einzigartige Ansätze sind vorhanden, werden aber leider nur selten zu Ende gedacht.

Trotzdem bietet „Capone“ einige erinnerungswürdige Szenen. Tom Hardy, wie er mit einer goldenen Tommy Gun Jagd auf Menschen macht, während unter seinem offenen Bademantel eine Windel aufblitzt. Tom Hardy, wie er mit leerem Blick und einer Karotte als Zigarren-Ersatz Bilder malt. Tom Hardy, wie er einen Monolog aus „Der Zauberer von Oz“ unverständlich mitgrunzt. Der Brite ist das Herz und der Blickfang dieses Films, wie hätte es auch anders sein können. Aber auch der restliche Cast ist hochwertig besetzt – nur bietet das Drehbuch ihnen wenig Spielraum um zu glänzen. Es konzentriert sich auf Capones Verfall – selbst die Konsequenzen für seine Familie bleiben nur Randerscheinungen. Linda Cardellini (Green Book) als traurige und wütende Ehefrau und Kyle MacLachlan (Twin Peaks, Blue Velvet) als zwielichtiger Arzt, schaffen es dennoch, ihren Rollen Leben einzuhauchen. Doch vor allem Matt Dillon (The house that Jack built, L.A. Crash) spielt seine Rolle als hätte er ein wenig zu viel Inspiration in Michael Madsens Performance in Tarantinos „Reservoir Dogs“ gefunden. Diese abgekupferte Coolness will so gar nicht zur subtilen Atmosphäre des Films passen.

Fazit

„Capone“ hätte ein großartiger Film werden können. Tom Hardy spielt den dementen Gangsterboss als manisch weggetretenen Alten, der sich immer mehr in den Bildern der Vergangenheit verliert. Der Realitätsverlust und die subtilen Grusel-Elemente kreieren eine fesselnde Atmosphäre, die der Film aber durch eine Geschichte, die zu viel will, selbst untergräbt. Trotzdem ist „Capone“ ein interessanter Beitrag zu einem der großen Hollywood-Genres, ohne klassische Elemente der Mafia- und Gangster-Filme zu recyclen. Ein Film mit großartigen Ansätzen, der sein Ziel aber insgesamt doch eher verfehlt.

Bewertung

Bewertung: 6 von 10.

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Bilder: ©2021 LEONINE DISTRIBUTION GMBH

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