Beim Anblick des Titels dieses Films erwächst in erfahrenen Horrorfans nicht gerade der größte Enthusiasmus. Wer sich an seelenlose Auswüchse wie „Slender Man“ oder „The Bye Bye Man“ erinnert, verliert womöglich auch bei „The Empty Man“ schnell die Hoffnung auf gepflegten Grusel und stellt sich mental vorab auf genüssliches Gähnen ein. Doch weit gefehlt. Auch wenn der Titel nicht sonderlich innovativ anmutet, fällt der amerikanische Vertreter doch deutlich aus dem Rahmen. Das liegt an zwei entscheidenden Faktoren.

von Cliff Brockerhoff

Einer davon: es ist mit der letzte Film, der unter der Flagge von 20th Century Fox erschien, bevor Disney den Konzern schluckte. Dementsprechend groß schien die Risikobereitschaft, denn hinter „The Empty Man“ versteckt sich ein hoch budgetiertes Projekt, das gleichzeitig auch noch das Debüt eines Mannes ist, der tendenziell eher im Hintergrund agiert: David Prior. Der US-Amerikaner ist wohl nur den wenigsten ein Begriff, fiel bis dato aber immer wieder mit der Regie von Making ofs bekannter Werke auf. An der Seite von niemand geringerem als David Fincher lernte Prior nützliche Handgriffe der Filmkunst, und tritt nun zum ersten Mal aus dem Schatten seines Mentors hervor.

Die Einflüsse der jahrelangen Zusammenarbeit sind allerdings deutlich spürbar. „The Empty Man“ ist kein reiner Horrorfilm, sondern erinnert von seiner Art her viel mehr an eine Mischung aus ikonischen Thrillern und einer erwachsenen Darbietung eingangs erwähnter Gruselstoffe. Inhaltlich bewegt sich der Film dabei immer wieder auf unterschiedlichem Terrain. Spannung, Brutalität, Okkultismus, Dramatik – es werden allerlei Tonalitäten kompromisslos kombiniert. Die Geschichte rund um einen ehemaligen Cop, der versucht die mysteriösen Geschehnisse rund um den Mythos des „Empty Man“ und das damit einhergehende Verschwinden von zahlreichen Jugendlichen aufzuklären, steht dabei aber immer im Fokus. So überbordend die Atmosphäre stellenweise sein mag, Prior reizt die Geduld seiner Zuschauer nur selten aus und gewährt dem Storyfortschritt zumeist den Vortritt.

Ab und an stellt sich der Film im Zuge dessen aber selbst ein Bein, denn nicht alles lässt sich auch logisch erklären. Klar, durch die behandelten Themen und die Einbindung einer kosmischen Komponente liegt es auf der Hand, dass sich am Ende kein großer oder gar selbsterklärender „Aha-Effekt“ einstellt. Dafür ist vieles zu gewollt kryptisch und verschachtelt. Doch wer beispielsweise kein Auge für Details hat, dem werden einige schöne und vor allem wichtige Spielereien und Hinweise entgehen, die letztlich zur Dechiffrierung beitragen. Es verhält sich in etwa so wie mit den letzten Filmen der „new wave of horror“ – zu dessen Dunstkreis Titel wie „Hereditary“, „Midsommar“ oder „Der Leuchtturm“ zählen. Die Geschichte erzählt sich nicht mehr ausschließlich anhand von Dialogen, sondern misst auch der Bildsprache eine größere Bedeutung bei. „The Empty Man“ fährt nicht komplett auf dieser Schiene, macht sich die wiederentdeckten Stärken aber zu Eigen und ist, wohlwollend formuliert, ein Hybrid aus modernem und traditionellem Horror.

Doch nicht nur die Story kann mit seiner Virtuosität punkten. Bedingt durch das ungewöhnlich hohe Budget war Prior in der Lage einen visuell sehr beeindruckenden Film zu kreieren. Es gibt gleich zahlreiche Szenen, Effekte und Kamerafahrten, die im Gedächtnis hängen bleiben. Ebenso verhält es sich mit der mehr als gruseligen Soundkulisse, die schon in den ersten knapp 30 Minuten auffällt und für Gänsehaut sorgt. Technisch ist das blitzsaubere Arbeit, und auch ansonsten lässt sich nicht viel bemängeln. Das Ensemble trägt zwar keine großen Namen, bietet aber gute Performances an und führt so durch die leider etwas zu lang geratene Spielzeit von 137 Minuten. Als größten Kritikpunkt wird sich „The Empty Man“ seine Überambition ankreiden lassen müssen. Auch wenn es immer schön ist jungen Filmemachern das Vertrauen zu schenken, wäre die ein oder andere Logiklücke vermeidbar gewesen. Diese sorgen am Ende für leichten Frust; es sei denn, sie werden mit subjektiver Interpretation geschlossen.

Fazit

Anders als die vom Titel her verwandten Werke vergeht sich „The Empty Man“ nicht in seichtem Teenie-Horror, sondern mischt zahlreiche Subgenres zu einem überraschend bizarren Konstrukt, das der Corona-Pandemie zum Opfer fiel und sonst zum jetzigen Zeitpunkt mit Sicherheit deutlich bekannter wäre. Technisch akkurat, inszenatorisch hochwertig und bisweilen gar hochklassig, leider aber gerade gegen Ende auch ein wenig überladen, sodass Prior trotz einer Fülle von Ideen schlussendlich nicht die Brücke zur ganz hohen Punktewertung schlagen kann. Digital verfügbar bei Amazon Prime Video, CHILI oder YouTube.

Bewertung

Bewertung: 7 von 10.

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Bilder: ©2020 20th Century Studios