Seit einer Weile greift eine Besorgnis erregende Tendenz zur Intoleranz um sich, die nicht nur Sprache und Ideologie betrifft, sondern auch Kultur, Kulturgut und Formen des Ausdrucks von Kultur: Ein neues, oft moralisch aufgeladenes Spießertum, das Abweichungen von einer (vermeintlichen) Mehrheitsmeinung scharf sanktioniert, Shitstorms bis hin zu Auftritts- und Berufsverboten initiiert, Forderungen nach „Cancellation“ vorbringt, von Filmen, Sendungen, Büchern – oder Menschen, die „nicht ins Konzept“ passen oder einfach anders denken. Eine liberale Diskurskultur weicht – gerade in den sozialen Medien – immer mehr einer illiberalen Diktatsunkultur, die kein Interesse mehr am Austausch, am „Sieg des besseren Arguments“ hat, die keinen Wert in einer Polyphonie divergierender Ansichten und Meinungen und Formen des Ausdrucks sieht.
Wir bei Film plus Kritik waren immer der Meinung, dass es – in Bezug auf unser Medium Film – eine größtmögliche Vielfalt geben soll und muss, eine thematische Vielfalt, eine ideologische Vielfalt, eine Vielfalt in Form und und eine Vielfalt der Rezeption(sarten) und Aneignungformen: Arthousefilm neben Marvel-Blockbuster, Weltkino neben Genrefilm, Kunstfilm neben Unterhaltung – kurz: einander ergänzende und aneinander reibende Formen des Ausdrucks eines Mediums, das die Welt in seiner ganzen Breite abbilden darf und soll.
Mitunter hat das auch intern zu Diskussionen geführt, nicht alle Mitglieder der Redaktion teilen die selben Vorlieben und Ansichten, logisch. Wir haben das jedoch immer als Bereicherung verstanden, als Möglichkeit, voneinander zu lernen, denn das eigene Wissen ist nie final. In diesem Kontext scheint mir eine kritische Betrachtung der Kulturpublizistik allgemein und der Filmkritik im Speziellen wichtig, die in den letzten Jahren immer eindimensionaler zu werden droht und sich damit selbst beschränkt. Besonders problematisch ist dabei aus meiner Sicht, dass neue Lesarten oder Interpretationsmuster für viele nur denkbar scheinen, indem alte verworfen, zerstört und diskreditiert werden, anstatt die oben beschriebe Vielfalt der Annäherung auch hier zu ermöglichen. Und aus filmhistorischer Sicht ist diese Tendenz fatal, da sie dazu neigt, große (filmische) Vorbilder zu stigmatisieren, zu banalisieren (“Herr der Ringe ist rassistisch!”) – oder sie überhaupt aus dem kollektiven (Film)Bewusstsein löschen zu wollen, anstatt sie gegebenenfalls neu zu kontextualisieren.
Konkret heißt das: Feministische Filmkritik steht bei uns neben klassischem Kulturpessimismus, auf der Autoren-Theorie fußende Kritik steht neben nostalgisch-persönlicher Annäherung, für Minderheiten sensible “Problemfilme” werden ebenso besprochen wie große, laute Krach-Bumm-Blockbuster und Sensoren für neue, weibliche Stimmen des Kinos und im Kino gesellen sich neben das Interesse an klassischen Männerfilmen und filmischer Maskulinität, etwa im US-Western oder Hard Boiled-Film – Reibungen und Widersprüche erwünscht. Das eine schließt das andere nicht aus, das eine nimmt dem anderen nichts weg, und wenn das Ziel eine bunte, vielfältige und gleichberechtige Filmkunst und Gesellschaft ist, ist das auch gar nicht anders denkbar. Insofern werden wir auch weiter über die großen Hollywood-Klassiker berichten, über neue Stimmen des Kunstkinos, über Superhelden-Blockbuster und kleine Genreperlen, Horror-Geheimtipps, Trash-Kunstwerke, Autorenfilme, Festivalfavoriten … und all das in der jeweils individuellen, eigenständigen Sichtweise des Autors / der Autorin, die niemandem Rechenschaft schuldig ist, außer sich selbst und dem Anspruch, die Essenz eines Werkes auf die bestmögliche Art und Weise zu erfassen und wiederzugeben.
Wir haben das immer so gemacht, wir werden das weiter so machen – und wer lieber vorgekaute, “richtige” Meinungen möchte oder 0815-Analysen, der möge tatsächlich an anderen Orten als hier besser aufgehoben sein.
In diesem Sinne,
stay open-minded and respectful!
Christian Klosz
Chefredaktuer & Herausgeber, Film plus Kritik
Weiterlesen: Ein hervorragender Text zur “Cancel Culture” und deren Auswüchsen erschien letztes Jahr in der Zeit und lässt sich HIER nachlesen.