Erwachsenwerden : sich ausprobieren, Grenzen austesten, Neugier befriedigen, Erfahrungen sammeln, Antworten auf Fragen suchen, die einem das Leben erklären und vielleicht auch das Streben nach Perfektionismus in der Freizügigkeit und der (unverbindlichen) Liebe, aber auch Frustration, Rebellion und Enttäuschungen – „Lovecut“ versucht als Erstlingswerk zweier Regisseurinnen genau diese Vielfalt des jugendlichen Daseins in Wien unter dem Zitat von Leonard Cohen „There’s a crack in everything, that’s how the light gets in“ abzubilden und wurde dafür bereits für das Beste Drehbuch beim Max Ophüls Preis ausgezeichnet. Der Einblick in das Leben einer Generation, die mit allen verfügbaren digitalen Mitteln Freiheiten und Möglichkeiten genießt, die sie jedoch oft an ihre Grenzen bringen und sie kaum die Tragweite ihrer Entscheidungen erkennen lässt, klingt erst einmal nach erfrischendem Coming-of-Age mit viel Identifikationspotenzial, denn: Die beteiligten sechs Jugendlichen haben natürlich auch alle sehr unterschiedliche Probleme, mit denen sie irgendwie fertig werden müssen.

von Madeleine Eger

Ben (Max Kuess) ist auf Bewährung und könnte durch einen weiteren Fehltritt im Jugendknast landen, was Luka (Luca von Schrader), die selbst gerade von zu Hause abgehaun ist, vorerst nicht weiß, als sie Ben über Tinder kennenlernt. Lukas Freundin Momo (Melissa Irowa) hingegen hat sich über Skype in Alex (Valentin Gruber) verliebt und möchte nun ihr erstes Mal mit ihm verbringen. Alex wiederum weiß nicht, ob er Momo überhaupt treffen will, denn dass er ihm Rollstuhl sitzt und er ihre Vorstellungen von Intimität möglicherweise nicht erfüllen kann, hat er ihr bisher verschwiegen. Alex‘ Halbbruder Jakob (Kerem Abdelhamed) hingegen frönt mit seiner Freundin Anna (Sara Toth) einem ausgiebigen Sexleben und auf dem Weg zur Selbstständigkeit entdecken die beiden die finanzielle Attraktivität des Hochladens von ihren sehr privaten Videos.

Das durch Crowdfunding finanzierte Regiedebüt von Iliana Estañol und Johanna Lietha, das die Geschichten der Jugendlichen episodenartig miteinander verknüpft, arbeitet durchweg mit Laiendarstellern, die im Grunde von der Straße weggecastet worden sind und dem Film somit eine angenehme Authentizität verleihen. Der sich dadurch entwickelnde, fast dokumentarische Charakter wird allerdings immer mal wieder von Momenten gestört, die die starre Inszenierung des Gezeigten hervorstechen lassen und gleichzeitig den Fokus von den Hauptfiguren lenken.

Dies geschieht vor allem dann, wenn die Eltern bzw. die Erwachsenen überaus klischeehaft Moralpredigten halten oder Strafen androhen und so tatsächlich wertvolle Zeit rauben, die zur tieferen Ausarbeitung der Charaktere und der Darstellung mancher vielschichtiger Themen dringender gebraucht worden wäre. Gerade wenn es beispielsweise um Alex und Momo geht, bleibt die Tiefe der doch sehr interessanten Geschichte weitestgehend auf der Strecke. So werden also 6 Geschichten möglichst formatkonform in etwa 90 Minuten gepresst, den Hauptfiguren der Reiz entzogen und diese viel zu oft zu schemenhaft dargestellt. Deshalb kann auch kaum ernsthaftes Interesse an dem Ausgang der Konflikte oder den flüchtigen Problemlösungen der Situationen aufkeimen.

Wo allerdings der Film erzählerisch oftmals schwächelt, zeigt sich das Können der beiden Regisseurinnen, wenn es um die Darstellung von sensiblen und intimen Momenten geht. Herausragende Kameraarbeit, gepaart mit einem erstklassigem Soundtrack und treffsicherer Ausleuchtung, zeigen die privatesten Momente der Jungdarsteller, ohne dabei zu reißerisch oder gar zu pornographisch zu werden.

Dennoch muss man einfach insgesamt sagen, dass „Lovecut“, trotz einiger schöner Bilder, deutlich hinter vergleichbaren Filmprojekten zurückbleibt. So ist der österreichische Film am Ende weniger dokumentarisch als „Easy Love“, deutlich weniger provokant als „Wir – der Sommer, als wir unsere Röcke hoben und die Welt gegen die Wand fuhr“ und (glücklicherweise) weniger exploitativ als das Berliner Gegenstück „Yung“. Was aber schlussendlich auch bedeutet, dass es damit auch keine markanten Punkte gibt, die für Gesprächsstoff sorgen würden oder die einem auch noch nach der Sichtung in Erinnerung bleiben: „Lovecut“ bleibt ein wohlwollender, leider zu uninteressanter Einblick in die Generation Z.

Fazit

Zu formatkonform verflüchtigen sich die Probleme der Jugendlichen innerhalb des episodenartig angelegten Erzählung zu schnell und die Regisseurinnen lassen dabei – auch bei immer wieder wunderschön gefilmten Bildern – das Konflikt- und Dramaturgiepotenzial fast gänzlich ungenutzt. Der Einblick in eine Generation, die mit Apps und Internet Erfahrungen in Schnellverfahren sammeln kann, bleibt am Ende schlichtweg zu unbedeutend und substanzlos und kann sich somit nicht von anderen Genrevertretern abheben.

Bewertung

Bewertung: 4 von 10.

„Lovecut“ ist seit 19.5. auf Amazon Prime zu sehen.

Bilder: © Stadtkino Filmverleih