In Filmen entwickelt die Bar oft einen ganz eigenen Charakter. Sie ist nicht nur der Ort für einen guten Drink, sondern begleitet Menschen in den unterschiedlichsten Lebenslagen und kann zu einem hervorragenden Beobachtungsort des Lebens werden. Ob nun verraucht im Dämmerlicht, als Treffpunkt für geheime Machenschaften, melancholisch, einsam als Krisenzufluchtsort oder laut und gesellig als Knotenpunkt des sozialen Lebens. Eine Bar, ihre Besitzer und die Menschen, die dort ein und ausgehen, können viele Geschichten erzählen.

von Madeleine Eger

So auch die Eckbar „The Dickens“ in George Clooneys neuem Film „The Tender Bar“, der mittlerweile achten Regiearbeit des Amerikaners. Das Drama basiert dabei auf den Memoiren des Journalisten und Autoren J.R. Moeringer, der in dem gleichnamigen Werk einen Einblick in seine Kindheit gibt und für den die Bar die Rolle einer zweiten Familie einnahm, wo ihm Weisheiten für Leben, Erwachsenen- und Mannsein mit auf den Weg gegeben wurden.

Pleite und ohne Bleibe müssen JR (Daniel Ranieri/Tye Sheridan) und seine Mutter (Lily Rabe) wieder im alten Elternhaus im kleinen Ort Manhesset einziehen. Was seine Mutter als Versagen betitelt, ist für JR ein großes Glück. Denn sie sind nicht die Einzigen, die zu den Großeltern zurückkommen. Da JR seinem richtigen Vater „The Voice“ (Max Martini) nur noch übers Radio nahe sein kann, sucht und findet er einen Ersatz in seinem Onkel Charlie (Ben Affleck), der ihn in seine Bar mitnimmt, zum Schreiben animiert und ihm eine einprägsame, friedliche und sorgenfreie Zeit verschafft. Während ein Rockklassiker durch das Auto schallt, erwecken die ersten Sekunden, in denen der Junge gedankenverloren aus dem Fester sieht, den Eindruck eines langen Roadtrips. Nur, dass das Ziel weder ein Urlaubsort noch eine neue unbekannte Stadt ist, sondern das Elternhaus seiner Mutter. Ein kleineres, heruntergekommenes Haus beherbergt plötzlich wieder die ganze Familie inklusive Enkeln. Als JR dann durch die Flure streift, in jedem Zimmer etwas anderes entdeckt, wird das Familienleben bebildert, das der Junge jeden Moment genießt.

Nicht zuletzt wegen Onkel Charlie, gespielt von Ben Affleck, der in seiner Rolle als charmanter, leicht verschrobener Barkeeper aufblüht und dafür sogar eine Nominierung bei den Golden Globes als bester Nebendarsteller bekam. Aber nicht nur sein Onkel wird zusehends zum Vaterersatz, auch die Freunde von Charlie steuern später ihre Lebensweisheiten bei. So mausert sich die Bar zum zweiten Zuhause und erscheint im Film wie ein gleichwertiges warmes Wohnzimmer, das einen willkommen heißt. Beide Orte sind lebendig. Menschen gehen ein und aus, verströmen das gleiche, intensive gedeckte Licht und sind durchsetzt von 70er-Jahre Klassikern, die einem auch nach dem Film noch in den Ohren liegen. Atmosphärisch ist „The Tender Bar“ somit nahezu durchweg liebenswert, sanft und ohne größeres Drama. Gerade die herzlichen Momente fallen hier ins Auge, die die Familie auszumachen scheint. Etwa Charlies immerwährende Hartnäckigkeit, die JR dazu bringt, die angesammelten Bücher zu lesen oder die ständige Unterstützung des Jungen bei seinen geschriebenen Geschichten und Schulveranstaltungen. Alles wirkt als wollte man dem kleinen JR eine Illusion nicht nehmen und ihn sorgenfreier aufwachsen lassen.

Clooney inszeniert einen Film mit spürbarem Wohlfühlfaktor, der vor allem in der ersten Hälfte durch Ben Affleck besticht und eine angenehme fließende Erzählstruktur aufbaut. Als JR dann allerdings seinen neuen Lebensabschnitt einläutet und von seiner Collegezeit berichtet, verliert der Film zusehends an Substanz. Nicht nur, dass schon vorher auf größere Höhepunkte oder dramaturgisch markante Momente verzichtet wurde und damit die finanziellen Probleme oder die Krebserkrankung weit in den Hintergrund rücken, auch wichtige Interaktionen mit JR’s Vater bekommen zu wenig Bedeutung beigemessen. Dabei ist gerade dieses eine spätere Treffen ein entscheidender Augenblick für den Studenten, der zu seinem Vater ein zweischneidiges Verhältnis hat und eine Beziehung porträtiert, der eine seltsam vertraute Distanz zugrundeliegt. Denn als Radiomoderator ist dieser in seinem Leben allgegenwärtig, ohne jemals wirklich bei ihm zu sein. Die Traumvorstellung und die Hoffnung, die in den Treffen liegt, werden schnell enttäuscht, dennoch haben diese Szenen nie die Stärke um im Gedächtnis zu bleiben, noch das Gefühl zu transportieren, als hätten diese gravierende Auswirkungen auf den Jungen.

Dass die Dramaturgie des Films bis zum Schluss zu zurückhaltend bleibt und sich keine Ausreißer aus der gradlinigen Erzählung erlaubt, führt dazu, dass vor allem die zweite Hälfte starke Probleme hat das Interesse an den Figuren aufrecht zu erhalten. Neue Beziehungen oder Bekanntschaften werden merklich zu oberflächlich behandelt und lassen Emotionen vermissen. „The Tender Bar“ verlässt sich zu sehr darauf sein Publikum mit der etablierten Atmosphäre durch seine Laufzeit zu tragen, als sie mit einer tieferen oder detaillierten Charakterdarstellung aus dem leichten Vergnügen herauszureißen. So wird das Drama schlussendlich zu einer nahezu austauschbaren Geschichte ohne spürbare Höhen und Tiefen, was angesichts der fantastischen Darstellung Afflecks schade ist. Denn wie alle die ihn in der Bar kennenlernen, hätte man am Ende selbst gerne diesen Onkel in seiner Familie.

Fazit

„The Tender Bar“ ist ein zu zahmes Drama, das seine Wohlfühlatmosphäre gekonnt ausspielt und damit die Substanzlosigkeit der Geschichte selbst in den Hintergrund drängt. Inszenatorisch verzaubert Clooneys neuestes Werk aber dennoch. Und das nicht nur wegen den 70er-Jahre Hits, sondern auch oder gerade wegen einem fantastisch spielendem Ben Affleck.

Bewertung

Bewertung: 6 von 10.

(60/100)

Bilder: ©Amazon Prime Video