Kilometerlange Strände, Palmen und in Kokosnüssen servierte Getränke – besonders in den kalten Monaten sehnt man sich mehr und mehr nach Sonne. Da kann es eine nette Abwechslung sein, zumindest im Kino auf eine tropische Insel zu fliehen; allerdings stellt Regisseur Albert Serra das Leben im Paradies nicht ganz so idyllisches dar, wie man es sich in eskapistischen Phantasien vorstellt: In „Pacifiction“ widmet er sich der dunklen Seite Franzöisch-Polynesiens und einer Gesellschaft, gespalten zwischen dem Trauma der Vergangenheit und den Gefahren der Zukunft. Jetzt im Kino.
von Natascha Jurácsik
De Roller (Benoît Magimel) ist Hochkommissar auf Tahiti und versucht, so gut es geht, den Frieden zwischen den französischen Behörden und den einheimischen Inselbewohnern zu wahren. Hierfür begibt er sich von einem offiziellen Besuch zum anderen, treibt sich in zwielichtigen Bars und auf nächtlichen Strandbesuchen herum, um sich mit den verschiedenen Gemütern, die auf der Insel zusammentreffen, genauestens vertraut zu machen. Was anfangs wie ein sehr bequemer Beruf wirkt, stößt allerdings auf Komplikationen, nachdem sich Gerüchte über weitere geplante Atomtests, wie sie in den Jahren zwischen 1966 und 1996 stattfanden, verbreiten. De Roller bemüht sich, die aufgebrachten Bewohner zu beruhigen und gleichzeitig die Wahrheit hinter dem Gerede herauszufinden.
Die Mischung aus trägem Inselleben und steigender Paranoia wird in “Pacifiction” an manchen Stellen sehr gut eingefangen: Jedes Gespräch wirkt nach außen hin höflich und sogar freundschaftlich, wird allerdings stets von dem Ungesagten dominiert, was eine subtile Spannung aufbaut, der wiederum zahlreiche Shots der Umgebung entgegengesetzt werden, wodurch sowohl die Handlung, als auch der Ton in ihrer Wellenartigkeit den Ozean zu imitieren scheinen, von dem die Figuren umgeben sind. Gleichzeitigt kulminieren die Bilder von windbewegten Tropenpflanzen und farbenfrohen Sonnenuntergängen nicht in einer Urlaubsatmosphäre, sondern wirken hier und da beinah ominös, was durch die sich steigernden Konflikte zwischen den verschiedenen Fraktionen verstärkt wird.
Doch trotz allen Lobs sollte angemerkt werden, dass „Pacifiction“ nebst einer faszinierenden Geschichte, starken Dialogen und fantastischen Performances auch tiefste Langeweile hervorruft, die ab und zu von den hier aufgelisteten Stärken durchbrochen wird. Ob dies ein Versuch ist, das lethargische Leben mitten im Nirgendwo wiederzugeben, ist durchaus möglich, wird den meisten Zuschauern aber vermutlich nicht Grund genug sein, ihr exzessives Gähnen plötzlich genießen zu können. Serra selbst meint, mit diesem Projekt die herkömmlichen Konventionen des kontemporären Kinos an ihre Grenzen bringen zu wollen – ob das tatsächlich durch einen fast dreistündigen Film, dessen Großteil aus leeren Aufnahmen des Handlungsortes oder stiller Momente der Charaktere besteht, erreicht wird, bleibt jedenfalls zu diskutieren.
Was allerdings nicht zur Debatte steht, ist Benoît Magimel: Er verkörpert die Rolle des cleveren, opportunistischen Kleinpolitikers De Roller hervorragend und verleiht ihr durch kaum merkliche Details einen Realitätsgehalt, der greifbar ist. Das Drehbuch unterstützt ihn dabei, denn jeder Satz trieft vor inhaltlicher Ambiguität und imitiert das leere Geschwätz vieler Politiker. Gleichzeitig beweist er einen deutlich klareren Blick als die restlichen Figuren und leitet das Publikum als eine Art Vergil im weißen Leinenanzug durch die verworrenen Gesellschaftsverhältnisse der Insel.
Ambiguität sei auch das Motto des Filmes allgemein, zumindest wenn man Albert Serra persönlich fragt: In einer Gesprächsrunde nach dem Premieren-Kinoscreening erläuterte der Regisseur und Drehbuchautor wortreich seine Wahrnehmung des Projektes. „Pacifiction“ sei ein Blick hinter den Vorhang des Paradieses und thematisiere „kontemporären Müll“; immer wieder betont der Franzose, wie seltsam und ungewöhnlich sein Werk sei und dass es einige Menschen sicherlich verstören würde. Was genau er damit meint, ist jedoch unklar, da das Drama weitaus weniger subversiv ist, als es gerne wäre. Inspiriert sei es von der Biographie von einer von Marlon Brandos Ehefrauen, die Serra gelesen habe – an den Namen konnte er sich allerdings nicht mehr erinnern. Viel Einblick gewährten diese Informationen nicht, allerdings steht fest, dass der Regisseur seinen Film wohl als revolutionärer empfindet als die meisten Zuschauer.
Fazit
Visuell einwandfrei, bestückt mit hervorragenden Dialogen, einer fantastischen schauspielerischen Leistung und einer besonderen Atmosphäre – trotz aller Stärken wird „Pacifiction“ außer bei Arthouse-Aficionados wohl nur für wenig Begeisterung sorgen, was an der viel zu langen Spielzeit und schleppenden Handlung liegt. Hierzu lohnt sich eine Erörterung über das Verhältnis zwischen der Absicht des Künstlers und der Unterhaltung des Publikums: Wahrscheinlich hätten ähnliche Effekte auch mit einem etwas flotteren Tempo erreicht werden können. Dennoch ist der Film ein interessanter und ambivalenter Blick auf eine Welt, die einem sonst nur als romantisches Urlaubsziel begegnet.
Bewertung
(65/100)
Bildquelle: Filmgarten Verleih