1923 auf einer kleinen Insel vor der Westküste Irlands. Einer Insel, auf der jeder jeden kennt, Klatsch und Tratsch (oder, wie man dort gerne sagt „Nachrichten“) der wertvollste Zeitvertreib zu sein scheint und auf der die besten Freunde Pádraic und Colm wie jeden Tag um 14 Uhr im Pub sitzen, um beim Plausch ihr Pint Bier zu trinken. Zumindest bis jetzt. Denn plötzlich steht Pádraic alleine da, ohne zu wissen warum. Und während auf dem Festland der irische Bürgerkrieg tobt, braut sich auf der beschaulichen Insel ein ganz eigener schicksalhafter Konflikt zusammen, den Regisseur Martin McDonagh gemeinsam mit seinen beiden Protagonisten aus „Brügge sehen…und sterben?“ austrägt.

von Madeleine Eger

14 Jahre sind vergangen, seit das ikonische Duo Colin Farrell und Brendan Gleeson als suizidgefährdete Auftragskiller auf unfreiwillige Sightseeingtour in Brügge ging. Für „The Banshees of Inisherin“, dem vierten Film des Regisseurs und Drehbuchautoren McDonagh, der 2018 mit „Three Billboards outside Ebbing, Missouri“ zwei Oscars gewann, stehen die Iren jetzt wieder gemeinsam vor der Kamera. Zusammen beweisen sie einmal mehr, dass sie den Balanceakt aus bitterer Tragik und pechschwarzer Komödie gekonnt beherrschen. Und während eine langjährige Freundschaft zerbricht, Einsamkeit über Aufbruch und Stillstand entscheidet, lauern die Geister des grünen, trügerischen Idylls auch auf den Tod.

Noch glaubt Pádraic (Colin Farrell) an einen Aprilscherz, den sich sein bester Freund Colm (Brandon Gleeson) mit ihm erlaubt, als er ihn von einem Tag auf den anderen meidet und kein Wort mehr mit ihm spricht. Eine andere Erklärung hat er nicht für das seltsame Verhalten. Schließlich haben sich die beiden entgegen der Vermutung der übrigen Inselbewohner nicht gestritten oder sind anderweitig aneinandergeraten. Als seine Schwester Siobhán (Kerry Condon) scherzhaft zu ihm meint, dass Colm ihn vielleicht einfach nicht mehr leiden kann, muss Pádraic wenig später mit Erschrecken feststellen, dass sie recht hat. Sein alter Freund gibt ihm mehrfach zu verstehen, dass Pádraic von nun an keinen Platz mehr in seinem Leben hat. Der kann und will Colms Entscheidung aber nicht so hinnehmen und bemüht sich immer wieder um Nähe zu seinem alten Weggefährten. Colm verliert allerdings irgendwann die Nerven und droht mit drastischen, blutigen Maßnahmen, um endlich seine Ruhe zu haben. Als Pádraic trotz der Warnungen noch immer nicht aufgibt, gerät die Situation auf der Insel außer Kontrolle …

Während die dichten Wolken langsam das satte Grün der Wiesen durchblitzen lassen, der Regenbogen den Hafen des kleinen Ortes säumt und Pádraic noch mit unbeschwertem Frohsinn zum Haus seines Freundes stapft, legt Martin McDonagh ein bulgarisches Volkslied über die auf den ersten Blick friedliche und harmonische Szenerie. Ein Lied, das den abrupten, ungewollten Weckruf aus einem schönen Traum besingt. Eine gewissenhafte Wahl, denn ähnlich wird es Pádraic ergehen, als er an die Tür seines Freundes klopft und ihm nicht geöffnet wird. Seine kleine heile Welt, in der man eben beim Pint im Pub auch die Ausscheidungen seiner Haustiere diskutieren kann, ist ab diesem Moment nicht mehr dieselbe. Die Zurückweisung und das Schweigen seines Freundes und die damit kippende Stimmung begleitet der Regisseur zusammen mit seinem Komponisten Carter Burwell mit fabelartigen, fast schon mysteriösen Klängen.

The Banshees of Inisherin

Colin Farrell spielt seine Figur als zunächst noch gutherzigen, naiv wirkenden, etwas ungeschickten Milchbauern, der zum Leidwesen seiner Schwester, seinen Zwergesel Jenny auch gern mal als Seelentröster mit ins Haus nimmt. Brendan Gleesons Fidelspieler Colm wirkt da hingegen stoisch, verbittert und nahezu herzlos, als er die Freundschaft aufkündigt. Ein kindisch wirkendes Verhalten, das der Gewalt geschundene Polizistensohn und oft zu Unrecht als Dummkopf betitelte Dominic (herausragend: Barry Keoghan) mit der hämischen Frage kommentiert, ob der alte Mann denn 12 sei. Dabei ist es bei dem Musiker die Verzweiflung darüber, dass er seine Zeit in der belanglosen Routine verschwendet, anstatt Lieder zu schreiben und etwas Wertvolles zu hinterlassen, die ihn am meisten plagt. Etwas, das außer ihm nur Siobhán unmittelbar zu verstehen scheint. Die träumt nämlich insgeheim auch schon länger davon, die Insel und den Starrsinn hinter sich zu lassen. Als Colm seine Drohungen später wahr macht und das erste Mal zur Schere greift, um sich selbst zu verletzten, mag man seinen Augen kaum trauen. Die blutigen Überreste der Verstümmelung landen dann voller Trotz umgehend an Pádraics Haustür und bebildern eine nicht mehr kontrollierbare Situation, die sich von Beginn an gleichwohl als Metapher auf den wütenden Bürgerkrieg versteht. Denn wie die Auseinandersetzung der beiden Männer entzieht sich für die Bewohner auch der Krieg mit Rauschwaden und dumpfen Explosionen am fernen Horizont irgendwann jeglicher Erklärungsversuche. Eine Eskalation, in der dann selbst bei gutmütigen Menschen aus Respekt Groll und aus Liebe Rache entsteht.

Fazit

In „The Banshees of Inisherin“ sind die Allegorie auf den Bürgerkrieg und die Tragik von gebrochenen Herzen stete Begleiter. Martin McDonagh verwebt dies allerdings hervorragend mit bissigen Dialogen, mit Momenten, die einem das Lachen hervorkitzeln (auch wenn es in der Kehle stecken bleibt), einer bisweilen mystisch angespannten Atmosphäre, eigensinnigen wie großartig gespielten Charakteren und einem unschlagbar charmanten Zwergesel. Makabre Schönheit, die McDonagh wie kein Zweiter beherrscht. Ab 5.1. im Kino.

Bewertung

Bewertung: 8 von 10.

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Bilder: © 2022 20th Century Studios