Als “Brennpunkt Brooklyn” (Orig. “The French Connection”) 1972 bei den Oscars ins Rennen ging, trat er in der Kategorie um den besten Film gegen folgende Mitbewerber an: “Anatevka”, “Die letzte Vorstellung”, “Nikolaus und Alexandra”, “Uhrwerk Orange”.

Bei “Anatevka” handelt es sich um eine Musical-Verfilmung und bei “Nikolaus und Alexandra” um ein Historien-Spektakel. Dies sagt nichts über die Qualität der Filme aus, doch sind Musicals und Historienfilme in ihrer Genreästhetik zeitlos und schaffen es immer, sich irgendwie auf die Leinwand zu wurschteln.

Die übrigen drei Filme hingegen sind echte Kinder ihrer Zeit. Sie unterscheiden sich sehr voneinander und sind doch Teil einer Gruppe von Filmen, die heute als New Hollywood bekannt ist.

von Richard Potrykus

Was ist „New Hollywood“?

Eine “Neue xy Film”-Bewegung gab es in nahezu jedem Land, welches Filme produziert. Neben New Hollywood gab es den Neuen Österreichischen Film, den Neuen Deutschen Film, den italienischen Neorealismus, die französische Nouvelle Vague und derlei mehr. Die einzelnen Epochen fallen nicht alle in dieselben Jahre, aber sie eint, dass sie allesamt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden (abgesehen vom italienischen Neorealismus, der sich bereits in den 1940er Jahren entwickelte) und sich immer als künstlerische Antwort auf historische oder gesellschaftliche Konflikte positionierten.

Das Kino des New Hollywood begann in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre und ging aus dem New American Cinema hervor, wo in Underground-Filmen mit den Traditionen des klassischen Hollywoods gebrochen wurde. Das New American Cinema und auch New Hollywood wandten sich radikal gegen die Prinzipien und Regeln der alten Meister. Der sogenannte Production Code, der seit 1934 die Dos und Don’ts bestimmte, der vorgab, wer gut und wer böse war, wie viel Gewalt und wie viel Sex in einem Film sein durften und welche Ideale hochzuhalten wären, begann durch Filmemacherinnen wie John Cassavetes und Shirley Clarke zu bröckeln und verlor schließlich seine Macht über die Industrie, als junge Schauspielerinnen und Regisseur*innen wie Gene Hackman und Cibyll Sheppard oder George Lucas und Sam Peckinpah die Führung übernahmen.

Der Grund für die Rebellion dieser neuen Generation von Filmemacher*innen war einfach: Das klassische Hollywood lief der Realität zuwider. Viele von ihnen verehrten die großen Meister der goldenen Ära Hollywoods, doch wollten sie selbst keine Filme drehen, die tatsächlichen Verhältnissen widersprechen.

Und so entstand auch ein Film namens “Brennpunkt Brooklyn”, besser bekannt als “The French Connection”.


Im Folgenden kann und wird es zu Spoilern kommen. Es wird empfohlen, erst den Film zu schauen (derzeit auf Disney+) und dann weiterzulesen.


„The French Connection“ als Kind seiner Zeit

William Friedkin ist der Regisseur, der hierfür verantwortlich zeichnet, und Owen Roizman stand hinter der Kamera. Zusammen erzählen sie eine Geschichte rund um einen Drogenimport von Frankreich in die USA.

Alles beginnt in Marseilles. Die Kamera folgt einem Mann, dieser wiederum folgt anderen Männern. Er beschattet sie. Es ist nicht klar, ob er ein Polizist oder Agent ist. Gesprochen wird auf Französisch. Es geht durch Straßen und verwinkelte Gassen. Dann wird der Mann getötet. Fort ist die Identifikationsfigur.

Szenenwechsel.

Zwei Polizisten (Gene Hackman, Roy Scheider) bei der Arbeit. Unter ihnen Detective Jimmy “Popeye” Doyle (Hackman). Wieder folgt die Kamera. Sie sind undercover, beobachten das Geschehen. Als sie einen dunkelhäutigen Drogendealer auf frischer Tat erwischen, beginnt eine Verfolgungsjagd zu Fuß. Unterlegt wird das ganze mit einer Kakophonie aus Jazz und Straßenlärm. Auf einem freien Gelände stürzt der Drogendealer. Anstelle ihn nur in Gewahrsam zu nehmen, treten die Polizisten auf den am Boden liegenden Menschen ein und schlagen ihn mehrfach.

Sollte hier eine (neue) Identifikationsfigur zu finden sein? Es scheint so, denn auch danach folgt die Kamera konsequent den Geschehnissen rund um Doyle und seinen Kollegen.

“Brennpunkt Brooklyn” will von vornherein klar machen, dass die Fronten nicht eindeutig sind. Die Figuren zeigen sich ambivalent, sind keine klaren Helden, aber auch keine absoluten Schurken. Einzig gesichert scheint, dass es kalt ist und die Lage angespannt.

Doyle vermutet, dass eine große Drogenlieferung ankommen wird. Nahezu manisch versteift er sich im Laufe des Films auf diese Idee. Rückhalt hat er dabei wenig bis gar keinen. Um dennoch ans Ziel zu kommen, muss der Polizist die Gesetze brechen, die Regeln zu seinen Gunsten ändern.

Der Antiheld als Identifikationsfigur

Doyle unterscheidet sich enorm von den einstigen Hollywood-Helden des Gesetzes. Er ist kein John Wayne. Während sich Gary Cooper im gleichnamigen Film um 12 Uhr MIttags in einem überschaubaren Westernstädtchen zum Duell trifft, ist Doyle umgeben von einem Dschungel aus Wolkenkratzern und scheint pausenlos von menschlichen Raubtieren umzingelt. Vielleicht ist er deswegen ständig am Fluchen, trinkt zu viel Alkohol und wendet unverhältnismäßig harte Gewalt an. Es ist nicht ersichtlich, ob der Dschungel Doyle korrumpiert hat oder ob sein Weg notwendig ist, um Recht und Ordnung wenigstens ansatzweise durchsetzen zu können.

Anfangs noch einen einzelnen Menschen verprügelnd, verliert Doyle nach und nach die Kontrolle über seine Handlungen und ähnelt mehr einem Kapitän Ahab, der bei seiner Jagd auf den weißen Wal die Welt um sich herum vergisst.

In “Apocaplye Now” von Francis Ford Coppola, einem der letzten Filme des New Hollywood-Kinos, muss das Publikum einen Großteil des Films ausharren, um endlich den wahnsinnigen Colonel Kurtz zu treffen. In “Brennpunkt Brooklyn” ist Doyle die Hauptfigur. Und so wird die Verfolgungsjagd in der Mitte des Films zu einem dramaturgischen Höhepunkt, denn in diesen 7’34’’ ergießt sich die ganze Komplexität des Films. In der Verfolgungsjagd gilt es nicht nur, einen Verbrecher zu jagen. Die gesamte Ordnung der Welt, die „The French Connection“ dem Publikum präsentiert, steht auf der Kippe.

Die Verfolgungsjagd

Doyle will einen Verbrecher verfolgen. Dieser befindet sich in einer Hochbahn, im Gegensatz zu dem Polizisten, der irgendwie versuchen muss, mitzuhalten. Unter Einwirkung von Druck übernimmt er die Kontrolle über ein fremdes Fahrzeug und bringt beim ersten Wendemanöver gleich zwei Passanten in Gefahr. Zahlreiche Autos bei ebenso zahlreichen Spurwechseln werden hierauf in ihrer Fahrt gestört oder beschädigt. Und dann ist da noch die Mutter mit dem Kinderwagen. Seit Sergej Eisenstein wissen wir, dass, wenn irgendwo Chaos herrscht, eine Mutter mit Kinderwagen nicht weit ist.

Immer wieder wechselt die Kamera zwischen dem Straßenverkehr, der Hochbahn und Doyles wahnsinnigem Gesichtsausdruck. Das Finale der Verfolgungsjagd mündet schließlich in der Tötung eines unbewaffneten Menschen von hinten.

Es ist ein schreckliches Wirrwarr, in das Doyle (und damit der Film) hineingeschlittert ist, und es wird wohl kein Entkommen daraus geben. Das weiß auch das Publikum und findet Anknüpfungspunkte. 1971, dem Jahr, in dem “Brennpunkt Brooklyn” in die Kinos kommt, verkündet Präsident Richard Nixon die Verabschiedung der Koppelung an den Goldstandard, ist der Vietnamkrieg allgegenwärtig und auch Polizeigewalt ein Thema.

Doyle könnte jetzt einhalten, könnte in sich gehen und reflektieren. Er könnte sich fragen, ob er überreagiert hat. Glaubt man den Geschichten von Nebenfiguren, wäre es nicht das erste Mal, dass Menschen sterben müssten, weil er aufgewühlt alle Vernunft von sich wirft. Doch Doyle ist eben wie Kapitän Ahab und kann nicht anders als fortzufahren. Am Ende des Films erfolgt ein weiterer Schuss. Wieder von hinten und wieder aus einer wahnsinnigen Emotion heraus.

Fazit

Friedkin überführt mit “Brennpunkt Brooklyn” den Polizei-Thriller in die neue Zeit.
Im Kampf von Gut gegen Böse scheinen die Übergänge fließend und so ist auch Doyle ein Wanderer zwischen Welten. Seine Motivation ist die richtige, doch seine Methoden…

Russo (Roy Scheider) ist Doyles Partner und der moderatere von den beiden.
Er wirkt wie ein personifiziertes Gewissen und wacht über seinen hitzköpfigen Kollegen. Mehrfach bringt er Doyle zur Räson, doch immer wieder lässt er ihn gewähren, vermutlich, weil er weiß, dass ohne die Grenzüberschreitungen der Kampf nicht zu gewinnen ist.

Richard Potrykus betreibt auch den Film-Blog Celluloid Papers.

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