Netflix hat die vierte Staffel der Erfolgsserie „You“ in zwei Teile geteilt. Statt intensivem Bingewatching hieß es also wieder warten, bis die nächsten Episoden erscheinen. Doch hat sich das Warten in diesem Fall gelohnt?

von Lena Wasserburger

Achtung, Spoiler!

Der erste Teil der 4. Staffel war keineswegs schlecht. Die Episoden schlugen allerdings einen für die Show ungewöhnlicheren Ton an. Mehr Mystery als Thriller und der Protagonist, Joe Goldberg, zeigte sich ebenfalls von einer anderen Seite. Scheinbar vorbei war seine Zeit als Stalker, stattdessen schlüpfte er in die Rolle eines Detektivs, der, ganz im Stile Agatha Christies, einem cleveren Serienkiller auf der Spur ist, der wiederum Joe und seiner Vergangenheit auf den Fersen ist. Die Identität des Mörders, so schien es, wurde mit dem Ende der fünften Episode gelüftet. Die große Enthüllung war jedoch ein wenig enttäuschend: Der Charakter, mit dem Joe eine ungewöhnliche Seelenverwandschaft zu verbinden scheint, der Mann, der alleine schon durch sein Saubermann-Image aus der Reihe der anderen Nebencharaktere tanzt – Rhys Montrose – war der Täter. Für Begeisterungsstürme sorgte dieser Plottwist im Internet nicht und schließlich begannen einige Fans bereits zu erahnen, dass damit noch nicht alle Rätsel von Staffel 4 gelöst sind.

Jene Fans, die geduldig auf den zweiten Teil der Staffel gewartet haben, werden nun belohnt. Denn was Teil 1 noch an Dynamik oder am klassischen „Thriller-Feeling“ fehlte, liefert Teil 2. Wer also nach Episode 5 bereits das Handtuch geworfen hat, sei nun dazu ermutigt, der 4. Staffel doch noch eine Chance zu geben. Denn mit Teil 2 wird klar, dass die Schöpfer der Serie nie vorhatten, tatsächlich eine „neue Richtung“ einzuschlagen, sondern vielmehr das Publikum an der Nase herumzuführen wollten. Dem wurde nämlich eine Illusion verkauft.

Es stellt sich heraus, dass die „Murder-Mystery“ der ersten Staffelhälfte nur dazu diente, die Zuschauer in die Irre zu führen. Denn Rhys Montrose ist weder ein Mörder, noch Joes Seelenverwandter. Er ist schlicht das nächste Stalking-Opfer auf Joes Liste. Und Joe ist weit davon entfernt, seine mörderischen Tendenzen hinter sich zu lassen. Ganz im Gegenteil: Er ist gefährlicher als je zuvor.

Teil 2 der 4.Staffel bietet also alles, was „You“-Fans ursprünglich an der Serie begeisterte. Einen komplexen Protagonisten mit einem sympathischen Äußeren und einem wahrlich dunklen Inneren und vor allem jede Menge schockierender Wendungen. Tatsächlich überschlagen sich die Ereignisse des zweiten Teils geradezu. Auf den ersten Twist folgt sogleich der nächste Turn und das mit einer Geschwindigkeit, die kaum Raum zum Durchatmen lässt. Obwohl in Staffel 4B in Sachen Plottwists sogar übertrieben wird, mitreißend ist die Story nach wie vor. Zumindest solange der Fokus auf dem Protagonisten liegt.

Sobald die Kamera sich anderen Charakteren zuwendet, fallen die eigentlichen Schwächen der Serie und insbesondere dieser 4. Staffel auf. Denn was „You“ eigentlich so faszinierend macht, ist vor allem Penn Badgleys Charisma. Die meisten Nebencharaktere dieser 4. Staffel wirken im Gegensatz zu Joe fahl und uninspiriert und daher fällt es bis zum Schluss schwer, aufrichtiges Interesse an ihnen und deren Handlungssträngen zu entwickeln. Joes Storyline auf der anderen Seite, obgleich Badgleys Performance fesselnd ist, unterscheidet sich nur geringfügig von der Handlung der vergangenen Staffeln und wirkt daher repetitiv. Die finale Folge der vierten Staffel hätte zwar das Potential, das Ruder herumzureißen, eine originellere Richtung einzuschlagen und ein würdiges Ende der Serie zu bilden, doch Netflix hatte hier offensichtlich andere Pläne. Es wird wohl noch eine weitere und (hoffentlich) letzte Staffel geben.

Letztendlich fällt es schwer, die 4. Staffel von „You“ zu bewerten. Sie hat Höhen und Tiefen. Es gibt Momente, die in Sachen Spannung und Dynamik ins Schwarze treffen, aber auch Twists und Szenen, die enttäuschend sind. Während man dieser Staffel nicht vorwerfen kann, langweilig zu sein, so fällt doch auf, dass die Serie langsam „müde“ wird. Das „You“-Flair, das sie ursprünglich zu einem Netflix-Hit machte, ist in Teil 2 der vierten Staffel zwar vorhanden, kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es allmählich doch ein wenig an Qualität mangelt. Über Logikfehler und den einen oder anderen holprigen Dialog kann im Sinne der Unterhaltung durchaus noch hinweggesehen werden, doch bevor die Story gänzlich ihren Reiz verliert, sollte „You“ wohl besser Nägel mit Köpfen machen und die Geschichte nicht weiter unnötig in die Länge ziehen.

Fazit

„You“ bleibt eine unterhaltsame Serie, die es versteht, Spannung herzustellen, obwohl Logik und Originalität zuweilen auf der Strecke bleiben. Wer sich bisher nicht dafür begeistern konnte wird allerdings wohl auch nicht mehr auf den Zug aufspringen. Es bleibt zu hoffen, dass die Serie in ihrer fünften Staffel ein zumindest akzeptables Ende findet.

Bewertung

Bewertung: 7 von 10.

(69/100)

-> Kritik zu Staffel 4, Teil 1

Bild: (c) Netflix