Nichtsahnend heben ein Passagierflugzeug, seine Crew und seine Passagiere aus Seoul Richtung Hawaii ab. An Bord befinden sich Familien, Kinder, Touristen, die sich auf ihren Trip freuen. Darunter ist Park Jae-hyuk (Lee Byung-hun) mit seiner Tochter, der wegen deren Hautekzeme einen Ortswechsel mit ihr plant, da das hawaiianische Klima dabei förderlich sein soll. Ebenfalls an Bord ist die Frau von Detektiv Gu In-ho (Song Kang-ho). Und ein gewisser Ryu Jin-seok (Im Si-wan), der Böses im Schilde führt: Kurz nach dem Start des Flugzeugs setzt er ein Virus frei, das schon nach kurzer Zeit zum Tod führt. Wie sich nach Ermittlungen von Detektiv Gu herausstellt, handelt es sich dabei um einen von Ryu im Internet angekündigten Terroranschlag, das Virus wurde bei einem Laborunfall entwendet und von ihm weiter zum Mutieren gebracht.

von Christian Klosz

Als erste Passagiere sterben, bricht Panik an Bord aus. Ryu kann zwar festgenommen werden – da ist es aber bereits zu spät, da sich das Virus im Innenraum weiter ausbreitet. Für die Verantwortlichen am Boden (aber auch die Menschen an Bord) beginnt sich die schwierige Frage zu stellen, ob man das Flugzeug landen lassen soll, um die noch lebenden Passagiere zu retten, oder es seinem Schicksal überlassen und damit die Ausbreitung des Virus an Land zu verhindern. Ein Impfstoff verspricht den letzten möglichen Ausweg aus diesem (moralischen) Dilemma.

Emergency Declaration„, die fünfte Regie-Arbeit des südkoreanischen Regisseurs Han Jae-rim, will in erster Linie Action-Thriller sein, kann sich aufgrund seines Inhalts aber nicht einer Betrachtung unter dem Brennglas der Corona-Pandemie-Erfahrung entziehen. Noch mehr: Er wurde, nach mehreren Verschiebungen, im Herbst 2020 gedreht, nach den ersten Corona-„Wellen“, also unter direktem Eindruck der realen Geschehnisse damals. Auch aus heutiger Sicht fällt es schwer, diesen Film emotionslos und ohne Blick auf die Wirklichkeit zu betrachten, da viele der dargestellten Themen und aufgeworfenen Fragen weiterhin relevant sind.

Rein technisch betrachtet ist „Emergency Declaration“ ein solider Thriller geworden. Optisch ist nichts auszusetzen, eine (am Boden stattfindende) Verfolgungsjagd im Auto, gefilmt mit in-car-Kamera inklusive Crash, gehört zu den inszenatorischen Highlights des Films. Schwächen finden sich im Drehbuch, da sich das Ganze nicht wirklich organisch zu einem schlüssigen Ganzen zusammenfügen will, viele Sequenzen „abgehackt“ wirken und die Übergänge zwischen den Handlungssträngen oft auch nicht flüssig oder stimmig wirken.

Ebenso finden sich einige logische Schwächen und Fehler. Das betrifft zum einen die Figurenzeichnung: Es ist etwa kaum nachvollziehbar, warum Passagier Park, der früher selbst Pilot war, so lange wartet, seine Hilfe im Cockpit anzubieten. Sogar als Pilot 1 bereits tot ist und Pilot 2 mit dem Leben ringt sitzt er unbeteiligt daneben und hadert mit alten Ängsten, die ein Vorfall in seinem früheren Job ausgelöst hat. Unter einer solchen Drucksituation, wo das eigene Leben auf dem Spiel steht, das der Tochter und jenes von 150 Passagieren, wäre naheliegend, dass er seine alten Erfahrungen hinter sich lassen würde – immerhin geht es um Leben und Tod – nicht erst dann, als das Flugzeug knapp vor dem Absturz steht. Auch werden die Hintergründe und Motive von Ryu, dem Virus-Terroristen, kaum beleuchtet, wir erfahren nicht, warum er tut, was er tut, er bleibt ein (zwar gut gespielter) Idealtypus des „Bösen“, der böse ist, weil er eben böse ist.

Die logischen Fehler beziehen sich aber auch auf eklatante Schwächen in der Recherche, gerade angesichts der Zeit, in der „Emergency Declaration“ gedreht wurde: Als das Virus im Flugzeug bereits ausgebrochen ist, als bekannt ist, worum es sich handelt, dass es ansteckend und tödlich ist, kommen die (noch) gesunden Passagiere mehrheitlich nicht auf die Idee, Mund und Nase zu bedecken oder Abstand von bereits Infizierten zu halten. Die Verstorbenen bleiben in Blutlachen einfach unter den Gesunden am Boden liegen. Aus medizinischer Sicht falsch ist auch die Darstellung des „Impfstoffs“ als „Heilmittel“ für bereits Infizierte: Wie inzwischen wirklich jeder wissen sollte, funktionieren Impfstoffe in der Regel nach dem Prinzip, dass das Immunsystem einem Erreger oder Wirkstoff ausgesetzt wird, um gegen eine bestimmte Krankheit eine Immunreaktion zu erlernen, um bei späterer Infektion dagegen gerüstet zu sein. Im Film taucht plötzlich ein „Impfstoff“ gegen das tödliche Virus auf, der nach Infektion verabreicht scheinbar alle Symptome verschwinden lässt und die Betroffenen heilt: Das gibt’s eben nur im Film.

Insgesamt ist „Emergency Declaration“ kein schlechter Film, er kommt aber zum falschen Zeit. Eine Gesellschaft, die bereits im Alltag alles tut, das Thema „Corona“ zu verdrängen, will wohl kaum in einem Katastrophenfilm daran erinnert oder damit konfrontiert werden. Selbst für all jene, die sich noch aktiv mit dem Thema befassen, ist der Film extrem schwere Kost, zu nah ist er an der Realität.

Trotzdem kann er als Spiegel dafür dienen, wie sich die Wirklichkeit inzwischen gewandelt hat: Im Film treffen die infizierten Passagiere an Bord die Entscheidung, das Flugzeug nicht landen zu lassen, um so ihre Angehörigen (und die gesamte Menschheit) vor einer Infektion (dem Ausbruch einer Pandemie) zu schützen, auch wenn das für sie den sicheren Tod bedeutet. Sie sind bereit, ihre Leben zu opfern, um andere Leben zu schützen und zu retten, sie wären die Helden der Geschichte. Vor dem Hintergrund einer Realität, in der diverse Gruppen mit dem „Recht, andere zu infizieren“ argumentieren, in der inzwischen keine Maßnahmen mehr ergriffen werden, ein schädliches Virus einzudämmen, in der die Mehrheit der Menschen das simple Tragen von Masken zum Selbst- und Fremdschutz als unzumutbare Einschränkung empfindet, da wirkt dieser Film, wenngleich vor nicht einmal 3 Jahren gedreht, tatsächlich wie aus der Zeit gefallen. Er illustriert aber auch, dass gesellschaftliche Entwicklungen nicht immer gen Fortschritt und hin zum Besseren verlaufen.

Fazit:

Für sich genommen ist „Emergency Declaration“ ein technisch einwandfreier Katastrophenthriller, der allerdings Schwächen im Drehbuch, der Figurenzeichnung und im Schnitt aufweist. Aufgrund seines Inhalts und der Aktualität kann er sich aber nicht einer Betrachtung vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie entziehen, was ihn schwer genießbar macht, aber auch zum schmerzhaften Spiegel einer realen (Rück-)Entwicklung werden lässt.

Bewertung:

Bewertung: 7 von 10.

(66/100)

„Emergency Declaration“ ist am 23.3. auf DVD & BluRay erschienen und auch als VOD zu erwerben.

Bilder: (c) Leonine