Es fühlt sich nicht an wie nach Hause kommen als die Reporterin Camille Preaker nach Jahren in ihre Heimatstadt zurückkehrt. Entsandt von ihrem Chef soll die einstige „Königin von Wind Gap“ über das Verschwinden zweier junger Mädchen berichten, trifft dabei aber nicht nur auf schier hilflose Polizisten, sondern vor allem auf die gehässige Einwohnerschaft der Stadt, die die Journalistin mit der Affinität zu Spirituosen missgünstig wie eh und je beäugt. Besonders die Wiederkehr in das Elternhaus, das Wiedersehen ihrer Mutter und die Flashbacks in vergangene Zeiten reißen bei Camille alte Wunden auf, die nie komplett verheilt waren.
von Cliff Lina

So sehr “Sharp Objects” zuerst den Anschein erweckt eine weitere Krimiserie mit erzwungen sensibler Melancholie ist, so schnell zeigt sich auch, dass der mittlerweile leider verstorbene Jean-Marc Vallée in seinem letzten Werk keine Gefangenen macht. Von Beginn an setzt der Kanadier seine Zuschauerschaft einer schwer einzuordnenden Bilderflut aus, verwirrt mit Zeitsprüngen in die Vergangenheit, seltsam anmutenden Halluzinationen und sterilen Kommunikationsmustern, die ein konfuses Gemisch erzeugen, das den Einstieg wahrlich nicht einfach macht. Doch einmal zurechtgefunden wird Wind Gap nach und nach zu einem interessanten Schauplatz, bei dem alltägliche Handlungen einem Ritual gleichkommen und ein Tag wie der andere ins Land zieht. Dementsprechend schnell gewöhnt sich auch Camille wieder an die Gepflogenheiten der Stadt, lässt allerdings auch erkennen, wie sehr diese ihr immer noch schaden.
Im Fokus der acht Folgen steht somit gar nicht die Ermittlung der Vermisstenfälle selbst, sondern das zwischenmenschliche Miteinander, samt entstehender Spannungs- und Reibungspunkte. Insbesondere die Beziehungen zu Mutter und Stiefschwester werden ausgiebig durchleuchtet und führen immer tiefer hinab in seelische Abgründe, die das Stadtbild und den Körper der rothaarigen Protagonistin über Jahrzehnte prägten. Die Serie schafft es, trotz massiver Entschleunigung, die Handlung immer voranzutreiben, auch wenn es teilweise ein kräftezehrendes Unterfangen ist. Im Grunde kopiert diese Herangehensweise das Leben im feucht warmen Mississippi, das den Menschen vieles abverlangt. Um ihm zu entkommen, kennen die Bewohner nur zwei Dinge: Alkohol und Musik, oft in direkter Verbindung. Auch Camille fährt immer wieder alkoholisiert durch die Gegend, nutzt altbekannte Klänge um ihren sperrigen Gedanken zu entfliehen und der Situation Herr zu werden. Eine Situation, die einst außer Kontrolle geriet und bis heute qualvoll in Gedanken und Gefühlen wabert. Mit welcher Konsequenz die Serie genau dies visuell einzufangen weiß, ist wahrlich beachtlich. Getragen von seinem starken Ensemble, einem schmerzhaft schönen Soundtrack und der intimen Atmosphäre engt “Sharp Objects” einen fast ein, fasziniert jedoch gleichermaßen von Anfang bis Ende. Eine starke Geschichte, die lediglich gegen Ende zu gehetzt wirkt und sich ins eigene Fleisch schneidet.

Fazit
Wie düster darf es sein? In “Sharp Objects” lauschen wir scharfzüngigen Dialogen zumeist unsympathischer Charaktere, umrahmt von nüchternen Bildern schwülwarmer Südstaaten-Tristesse. Mittendrin eine grandiose Amy Adams, die sich in familiärer Unterkühltheit die Seele aus dem Leib spielt. Dabei ist die Romanadaption eher auf anspruchsvolles Publikum ausgerichtet, das Symbole zu entschlüsseln und mit zähem Erzähltempo umzugehen weiß. Eine bitterböse Charakterstudie, die dahin geht, wo es weh tut. Uff.
Bewertung
Bilder: ©HBO
