Etliche Schlagzeilen kursierten rund um „The Idol“. Lange bevor die neue HBO Serie von „Euphoria“ Schöpfer Sam Levinson überhaupt in Cannes seine Premiere feierte. Von Problemen bei den Dreharbeiten war die Rede, einer Regisseurin, die vorzeitig die Segel strich und expliziten Sexszenen, die schon während der Produktion nicht überall auf Anklang stießen. Kontrovers und mit gespaltenen Reaktionen wurde die Serie mit Hauptdarstellerpaar Lily-Rose Depp und „The Weeknd“ Abel Tesfaye auch während der Filmfestspiele vom Publikum aufgenommen. Obwohl die (bis dato) ersten beiden Folgen tatsächlich Gesprächsstoff bieten, merkt man der neuen HBO Serie vor allem eins an: An die Intensität und den hypnotischen Sog von „Euphoria“ kann Levinson mit „The Idol“ lange nicht anschließen.
von Madeleine Eger
Jocelyn (Lily-Rose Depp) ist ein Popsternchen auf dem Weg zum großen Comeback. Ein Jahr nach dem Tod ihrer Mutter, einem Nervenzusammenbruch und einer abgesagten Tour, stehen die neue Single, ein Album und eine Reihe von Konzerten auf dem Plan. Jocelyn, die auf sich allein gestellt ist, wird von einer Reihe Managern, Producern und Assistenten umgeben, die für sie den Familienersatz bilden und ihr in allen Entscheidungen zur Seite stehen. Nur ist die Popsängerin nicht von dem überzeugt, was man ihr als neue Marke überstülpen will und rutscht zunehmend in die nächste Schaffenskrise. Zusätzlich taucht unerwartet auch noch ein explizites Foto von ihr im Netz auf, das die Karriere gefährden könnte. Selbstzweifel und Unsicherheit werden daraufhin Jocelyns Begleiter. In ihrer Verwundbarkeit begegnet sie Klubbesitzer Tedros (“The Weeknd”). Und der ist ein Meister der Manipulation und verfolgt mit Jocelyn seine ganz eigenen Ziele.
Einen Einblick in die Skrupellosigkeit und die unsichtbaren (ausbeuterischen) Machtstrukturen des Musikbusiness verschafft uns Folge eins der sechsteiligen Serie. Im Close-up schickt Levinson Lily-Rose Depp in den ersten Minuten durch eine ganze Palette an Emotionen, während der Fotograf unablässig Fotos schießt. Sie lacht, weint und verführt die Kamera, um eingehüllt im freizügigen Outfit in den Augen der Konsumenten als „jung, schön und kaputt“ zu wirken. Ein Bild, in dem das Durchmachen von mentalen Erkrankungen nun als sexy gilt. So zumindest der Plan der Plattenfirma, die bei dem Covershooting genauso die Zügel in der Hand hält wie der Rest von Jocelyns Entourage, die sich am Ende einig ist, dass ein geleaktes Nacktfoto in den Twittertrends am Ende vielleicht doch nur der benötigte Karrierekick sein könnte, um die Verkaufszahlen für die Tour nach oben zu treiben.
Jocelyn wird bei all den Entscheidungen allerdings nicht einbezogen. Vielmehr als Ware gehandelt, die es gilt, gewinnbringend in den Medien zu halten. Vorbild dabei: Britney Spears. Und das merkt man „The Idol“ in einigen Momenten auch an. Sexualisierte, aber mehr als oberflächliche Popsongs inklusive entsprechender Choreografie im Stripklub begleiten einen Star, der spürbar verletzlich ist und der an dem steigenden Erfolgsdruck sowie der sie umgebenden Einsamkeit zu zerbrechen droht. Mehrfach quellen die unterdrückten Tränen hervor. Rollen unnachgiebig über die perfekte Maske eines scheinbar starken und selbstbewussten Popstars, der sich aus dem Schatten zurück ins Rampenlicht gekämpft hat.

Lily-Rose Depp, die in den ersten beiden Folgen eine starke Performance abliefert, wird allerdings bisher in „The Idol“ kaum mehr als eine Facette zugestanden. Eine junge naive Frau, gebrochen vom Schicksalsschlag, über die man redet, aber nie mit ihr, fühlt sich selbstverständlich sofort hingezogen zu dem erstbesten Wolf im Schafspelz. Wobei Abel „The Weeknd“ Tesfaye als ominöser Klubbesitzer schon zu Beginn nicht unbedingt vertrauenswürdig erscheint und wenig schauspielerischen Charme mitbringt. Als vampirartiger Jäger inszeniert, der seine Beute mit gierigen Blicken zerfleischt, sind die wenigen Enthüllungen oder bedrohlichen Mutmaßungen in Folge zwei rund um diese Figur dann im Grunde auch keine große Überraschung. Riesige Geldschulden, keine Vergangenheit, Anführer eines seltsamen “Kults”.
Depps Gegenpart bewegt sich gleichwohl im eindimensionalen Charakterbild des manipulativen Badboys, der mit vorgespieltem Interesse genau die wunden Punkte bei seinem Opfer ausnutzt. Der mit Kreativität und Lust Jocelyn beflügelt, um den Star für sich zu gewinnen. Letztlich werden somit sämtliche Nebencharaktere, vor allem jene rund um Jocelyn, weitaus interessanter, ambivalenter und ausdrucksstärker als das Hauptdarstellerpaar, dessen Chemie nur wenig überzeugen kann. Trotz toller Bilder, die unter anderem von Kameramann Arseni Khachaturan („Bones and All“) in starken Kontrasten eingefangen werden, in denen unheilvolles, lüsternes Rot die Szenerie immer wieder dominiert, bleibt „The Idol“ bisher größtenteils ausdruckslos und hat Mühe, das Interesse aufrecht zu erhalten. Bleibt abzuwarten, ob Levinson und Co-Creator „The Weeknd“ erzählerisch für die übrigen Folgen etwas mehr in Reserve haben, um das Publikum doch noch zu überraschen und in die wirklich dunklen und gierigen, ausbeuterischen Abgründe der menschlichen Natur vorzudringen.
Fazit
In “The Idol” trifft gefühlte Vorhersehbarkeit auf wenig empörende Aufdeckungsarbeit hinsichtlich verborgener Machtstrukturen, eingerahmt von (je nach Ansicht) skandalträchtiger Freizügigkeit. Ein vergleichsweise schwacher Start einer Miniserie, die mit eklatanten Kontroversen warb.
Bewertung
(55/100) -> Weitere Wertungen
Diese Kritik bezieht sich auf die Folgen 1 & 2. Die 3. Folge erscheint kommenden Montag, bei uns auf WOW bzw. Sky.
Bilder: (c) HBO