Nach bereits 5 Folgen endete diesen Montag HBO’s/A24’s Mini-Serie “The Idol” von Sam Levinson und Abel Tesfaye (The Weeknd). Bereits im Vorfeld sorgte sie für Wirbel, der auch nach Sichtung aller Episoden nicht wirklich nachvollziehbar bleibt. Ebenso nicht nachvollziehbar sind die Verrisse, mit denen die ersten Folgen von manchen Kritikern bedacht wurden.

von Christian Klosz

Natürlich: “The Idol” ist von diversen Schwächen durchwachsen, hat Kanten und Ecken, geniale Sequenzen folgen auf dahinplätschernde Szenen ohne Substanz und Spannung. Diese Sequenzen treten allerdings vor allem in den Episoden 1 und 2 auf – danach schwillt die Qualität von “The Idol” merkbar an und bleibt bis zum Finale auf sehr gutem Niveau.

Erzählt wird in “The Idol” die Geschichte eines gefallenen Stars (überzeugend-enigmatisch verkörpert von Lily Rose Depp), Jocelyn, der nach persönlichen Tragödien von ihrer Entourage unsanft auf den Comeback-trail gestoßen wird. Während der Aufnahmen zu ihrem neuen Album, mit dem sie sich nur wenig verbunden fühlt, trifft sie auf den selbsternannten Musik-Guru Tedros (The Weeknd), der sich in ihr Leben schleicht und die Kontrolle über Jocelyns Haus und Produktion übernimmt. Künstlerisch sind die Resultate dieser Kollaboration überragend, menschlich sorgt sie zwischen allen Beteiligten für immer größere Konflikte.

Die beißende Kritik, die die Serie am Showbiz formuliert, ist absolut treffend und großartig geschrieben: Ein vom Star aufgetauchtes Foto mit cum on her face soll sozial-medial erst zur Stilisierung als Opfer, dann als feministische Heldin – und schließlich als Album-Cover herhalten. Am Ende geht es nur um die $$$, um Medienpräsenz, so der zynische Befund, und dafür sind alle Mittel recht, so opportunistisch sie auch sein mögen. Weiteres Beispiel: Der Ex-Freund Jocelyns, den sie kurzerhand zurück in ihr Leben holt, wird über Umwege von einer Bekannten von Tedros als Vergewaltiger geframed, damit Tedros wieder Zugriff auf Jocelyn, ihre Zuneigung und ihre Musik bekäme. Solche verqueren Abläufe sind in der Welt der Musik, des Films, der Welt der Stars und Sternchen vermutlich nicht unbedingt die Ausnahme, und Sam Levinson allgemein und “The Idol” im Besonderen üben Kultur- und Gesellschaftskritik, die notwendig ist und es nicht notwendig hat, sich als das reaktionäre Gegenteil zu geben, sondern aus liberaler Position Praktiken dar- und an den Pranger stellt. Allein deshalb ist die Serie sehenswert.

Sehenswert ist sie auch, weil sie und ihre Figuren permanent im moralischen Zwielicht stattfinden, im mysteriösen Grau, das ihnen Spannung verleiht. Niemand ist “nur gut” oder “nur böse” – und so lässt sich “The Idol” auch als Hommage an New Hollywood lesen, als Echo auf eine vergangene Epoche. Oder gar als Beginn einer Renaissance. Stilistisch orientiert sich Levinson stark an den 80ern mit ihrer ausdrucksstarken Hochglanz-Ästhetik und ihren Synthie-Sounds (der Soundtrack von Mike Dean und The Weeknd ist ein weiteres Highlight), ohne zu kopieren oder eklektizistisch zu wirken. Erinnerungen insbesondere an Brian de Palma und an “Scarface” werden wach.

Einziger, relevanter Schwachpunkt ist das Drehbuch, das trifft allerdings nur auf die ersten beiden und teils die letzte Folge zu: Die Geschichte zwischen Jocelyn und Tedros hätte anders und besser erzählt und zu Ende gebracht werden können, denn das Finale ist zwar unerwartet, aber irgendwie auch unbefriedigend. Zudem scheint von Beginn an keine wirkliche Chemie zwischen den beiden Hauptdarstellern aufgekommen zu sein, was bei Darstellung einer amour fou mit teils expliziten Sexszenen ein Problem ist. Diese Schwächen werden allerdings durch den übrigen Cast (aus dem Hank Azaria als Jocelyns Manager positiv heraussticht) mehr als kompensiert, da “The Idol” in allen Nebenrollen hervorragend besetzt ist.

Fazit

Trotz einiger Schwächen, die dem Endprodukt nicht wirklich weh tun, ist “The Idol” eine must-see-Serie geworden, die durch beißende Kritik am Showbiz, gelungene Darstellerleistungen, eine nostalgisch-überzeugende Ästhetik und einen herausragenden Soundtrack glänzt. Co-creator Sam Levinson bestätigt seine Rolle als einer der momentan interessantesten Autorenfilmer Hollywoods, Lily Rose Depp bietet eine zwar schwer zu fassende, aber am Ende (auch gesanglich) bemerkenswerte Performance ab. Anschauen – trotz der (Größtenteils unfairen) Kritik. Zu sehen auf WOW/Sky.

Bewertung

Bewertung: 8 von 10.

(84/100)

Bild: (c) HBO