Es gibt kaum Filme, die die Krisen unserer Gegenwart ernsthaft und realitätsnah abbilden. Noch weniger solcher Filme gibt im aktuellen Bewegtbild-Mainstream, egal ob es sich nun um Kino-Releases handelt oder um Streaming-Starts. Bevölkert werden insbesondere die Kinos von Superhelden-Aufwärmware, Remakes, Sequels und Prequels, Reboots einst erfolgreicher Filme (oder Filmreihen) und nostalgischen Ausflüge in andere Jahrzehnte. Innovativ, anspruchsvoll, tiefgründig oder relevant sind die wenigsten dieser Werke, Ausnahmen wie „Oppenheimer“ bestätigen die Regel.

von Christian Klosz

All das ist Ausdruck der Weigerung weiter Bereiche der Kunst/Unterhaltungsbranche, sich mit den Realitäten unserer Zeit (kritisch) auseinanderzusetzen. Oder sie überhaupt erst abzubilden. Was gleichsam auch Ausdruck der kollektiven Überforderung von Gesellschaft(en) ist, Antworten auf drängende Fragen wie Klimakrise, Gesundheitskrise oder Demokratiekrise zu finden. Die kreative Branche verweigert sich ihrer Aufgabe, Fragen zu stellen, Gegebenheiten zu hinterfragen und Politik und Gesellschaft wachzurütteln. Fast wehmütig muss man an Filmepochen wie die diversen „Wellen“ der 60-er oder „New Hollywood“ der 70-er zurückdenken, die einige der besten Werke der Filmgeschichte hervorgebracht hatten, weil ihre Macher mutig und kompromisslos agierten und sich auf die Realitäten ihrer Zeit einließen, grundsätzlich die Voraussetzung dafür, diese hinterfragen und Alternativen entwickeln zu können. Aktuell hingegen lautet das Credo: Eskapismus, tumbe Berieselung, zahnloser und aufgesetzter Moralismus, Nostalgie, Anschluss an „bessere Zeiten“ – bis tief hinein in den Arthouse-Film. Wo sind die Werke, die sich direkt oder indirekt mit den Folgen der Pandemie befassen, den Implikationen der um sich greifenden Klimakrise, dem russischen Angriffskrieg, der sich immer klarer manifestierenden Krise der Demokratie und der Rückkehr rückständiger und faschistischer Weltbilder?

Ausgerechnet ein Werk, dass bereits vor Ausbruch der Corona-Pandemie abgedreht war, spiegelt die aktuelle Weltlage besser wider als fast alles, das danach entstand: „Greenland“ sollte 2020 im Kino erscheinen, wurde selbst Opfer diverser Lockdowns – und erschien schließlich Ende 2020 relativ erfolgreich als digitaler Release und später auf DVD/Bluray.

Der Katastrophen-Thriller von Ric Roman Waugh („Angel has fallen“) lässt sich als nahezu perfekter Mainstream-Film bezeichnen, der (ohne es gewusst zu haben) existierende Gefühle, Ängste und Stimmungen der Gegenwart aufgreift, plastisch darstellt und all das auf außerordentlich fesselnde und unterhaltsame Weise macht.

Im Kern handelt „Greenland“ davon, dass wie aus dem Nichts ein riesiger Komet aus dem All auftaucht, der auf die Erde zurast. Erst gibt es Entwarnung: „Clarke“ soll an der Erde vorbeifliegen. Dann heißt es, es könnte mehrere, kleine Einschläge geben. Schließlich ist man sich gewiss: Das Ding aus dem All hat die Kraft, das gesamte (menschliche) Leben auf dem Planeten auszulöschen. Im Minutenschnelle wird aus ignoranter Abwiegelung Sorge, Angst – und schließlich blinde Panik, als erste Kometenteile auf der Erde einschlagen und eine Spur der Verwüstung hinterlassen.

Im Zentrum von „Greenland“ stehen der von Gerald Butler dargestellte John Garrity und seine Familie, die ausgewählt worden waren, in einer unterirdischen Kolonie in Grönland Zuflucht zu bekommen. Der Film handelt vom beschwerlichen Weg der Garritys an den rettenden Hafen, dem Chaos, das die Kometeneinschläge auslösen und dem Gefühl einer existenzbedrohenden Katastrophe, vor der es kaum ein Entkommen und für die es keine Antwort gibt.

Während es dem Film durchaus gelingt, diese Bedrohung auch bildlich greifbar zu machen (wenngleich die Effekte nicht auf allerhöchstem Niveau sind), ist der eigentlich maßgebliche Aspekt die gelungene Darstellung der Emotionen, durch die die Protagonist/innen angesichts der bevorstehenden Apokalypse gehen (müssen). Angst paart sich mit blinder Wut, Verzweiflung und egoistischem Überlebensdrang. Held der Geschichte ist schließlich der, der trotz seiner eigenen möglichen Auslöschung nicht um die Menschen um sich vergisst, der bereit ist, sein eigenes Schicksal hintanzustellen, um das Überleben anderer zu sichern. Also der von Butler glaubwürdig verkörperte John Garrity.

Bei der Sichtung von „Greenland“ fragt man sich unweigerlich, wo es in unserer krisengebeutelten Gegenwart diese „Helden“ gibt, die mit Blick auf das „größere Ganze“ ihren eigenen Vorteil hintanstellen.

Bewertung

Bewertung: 9 von 10.

(87/100)

„Greenland“ ist als Kauf- und Leih-VOD und auf DVD/BluRay verfügbar.

Bild: (c) 2020 Tobis