„Roasts“ sind eine beliebte Form der US-Unterhaltungsbranche, die Größten ihres Faches zu ehren. Und zwar dadurch, dass Kollegen und Kolleginnen Scherze auf deren Kosten machen – meist weit unter der Gürtellinie. Der erste Roast dieser Art fand 1949 statt, in den 1970ern brachte Dean Martin das Konzept mit seiner TV-Show „Dean Martin Celebrity Roasts“ in die amerikanischen Wohnzimmer. In den letzten 2 Jahrzehnten veranstaltete der US-Sender Comedy Central regelmäßig Roasts, mit legendären Ausgaben wie jener mit David Hasselhoff als „Roastie“.

von Christian Klosz

Die letzten Jahren gab es kaum entsprechende Veranstaltungen. Zum einen mag das mit der Corona-Pandemie zu tun gehabt haben, zum anderen mit Kritik an solchen Formaten, die von politisch unkorrekten jokes und insults leben und von manchen als nicht mehr zeitgemäß angesehen wurden. Klassische Roast-Skripts waren vielen Produzenten angesichts zu erwartender Backlashes wohl zu heiß, und „Roasts light“ können nicht funktionieren.

Nun versucht Netflix ein Comeback dieses Comedy-Formats, und zwar gleich mit dem „Greatest Roast of all Time“, den man NFL-Quarterback-Legende Tom Brady widmet, bekannt auch als „GOAT“, der „Greatest of all Time“. Der eigene Anspruch des Streamingdienstes war also eine Rückkehr mit einem big bang, und auch die Dimension legte man angemessen megalomanisch an: „The Roast of Tom Brady“ fand im Kia Forum statt, einer riesigen Veranstaltungshalle in LA, wurde live übertragen (zum ersten Mal in der Geschichte der Roasts!) – und dauerte ganze 3 Stunden. Seit 6.5. ist die Aufzeichnung – weitgehend unzensiert – auch bei uns zu streamen.

Das Überraschendste an dem Ganzen ist die Tatsache, dass dieses Comeback ein voller Erfolg auf allen Ebenen ist: „The Roast of Tom Brady“ bietet großartige Unterhaltung, kann mit wirklich zum Schreien komischen Witzen aufwarten und lebt von einer tollen Stimmung unter allen Teilnehmenden, die sichtlich Spaß hatten und vielleicht selbst davon überrascht waren, wie smooth all das ablief. Als „Roastmaster“, also Host, fungierte Comedian Kevin Hart, der seinen Prolog und die kurzen Überleitungen immer wieder mit einem „Fuck you, Tom!“ würzte, was sich zum Running Gag entwickelte.

Nicht nur beim Schreiben der Jokes bewies das Team hinter der Produktion Talent und das richtige Gespür, sondern auch bei der Auswahl der „Roaster“, also jener Persönlichkeiten, die Tom Brady mit ihren 10 bis 15-minütigen Stand Up-Auftritten auf die Schippe nahmen. Es war eine bunte Mischung aus Comedians, Schauspielern und ehemaligen Footballern, die den GOAT, aber auch sich gegenseitig grillten. Die häufigsten „Themen“ der Witze waren Bradys gescheiterte Ehe mit Gisele Bündchen, seine Erfahrung als 6th-round-Draft-pick – und seine „whiteness“. Mehrfach Ziel des Spotts wurden auch der derzeit „arbeitslose“ Ex-Patriots-Coach Bill Belichick, der einen unerwarteten und mehr als gelungenen Überraschungsauftritt hinlegte, und Ex-Teamkollege Rob Gronkowski. Im Folgenden ein kurzer Überblick über die Stand Up-Sets der Roaster:

Kevin Hart:

Eröffnete den Abend, legte selbst einen unterhaltsamen Roast hin und führte solide durch den Abend. Rating: 8/10

Jeff Ross:

Die Roast-Legende, hier auch als Gag-Autor und Produzent tätig, lieferte in ihrem bekannten Stil ab, den man allerdings mögen (und aushalten) muss. Rating: 6/10

Drew Bledsoe:

Tom Brady bekam seinen ersten Einsatz bei den New England Patriots vor mehr als 20 Jahren nur, weil sich der damalige QB Bledsoe verletzte. Brady „klaute“ ihm seinen Job, der Rest ist Geschichte. Bledsoe erwies sich beim „Roast of Tom Brady“ als humoristisch talentiert und auch durchaus selbstironisch. Rating: 8/10

Randy Moss:

Der ehemaige Wide Receiver von Brady lieferte den wohl schwächsten Roast des Abends: Zu steif und hölzern war sein Auftritt. Aber klar, dass dieses Format nicht jedem liegt. Rating: 4/10

Nikki Glaser:

Die Comedienne legte DEN Auftritt des Abends hin: Frech, cheeky, politisch inkorrekt und mit hervorragendem Timing zog sie über die Anwesenden her. Sie beendete ihr Set damit, dem sichtlich überforderten Tom Brady mitzuteilen: „I wanna suck your cock!“. Rating: 10/10

Bert Kreischer & Tom Segura:

Die beiden Comedians verglichen Brady in ihrem überdrehten Auftritt mit Jeffrey Epstein und Adolf Hitler. Nicht unlustig, aber etwas zu sehr over the top. Rating: 5/10

Sam Jay:

Die Comedienne legte einen soliden, witzigen Auftritt hin, der vor allem Bradys Wirken in Boston und seine „whiteness“ auf die Schippe nahm. Rating: 7/10

Bill Belichick:

Die Überraschung des Abends war der Auftritt von Bradys Ex-Coach. Zum einen gelten die beiden als zerstritten und niemand rechnete mit seinem Kommen. Zum anderen gilt Belichick als völlig humorbefreit. Umso beachtlicher war die Art und Weise, in der er die Jokes ablieferte – und nicht nur Humor bewies, sondern auch das Talent, über sich selbst und Scherze auf seine Kosten zu lachen. Rating: 9/10

The Roast of Tom Brady Belichick

Julian Edelman:

Der ehemalige Receiver der Patriots blieb vor allem durch seine dreckigen dirty jokes in Erinnerung: Viel war dabei die Rede von „fuck“, „dick“ und Tom Bradys „balls“ die er, Edelman, regelmäßig „deflated“ (also entleert) hätte. Kevin Hart bezeichnete das etwas befremdet als „sick white boy humor“: „Why do they talk about their dicks all the time?“ Rating: 7/10

Tony Hinchcliffe:

Der Comedian kam aus dem Publikum auf die Bühne und zog über die Anwesenden her. Seinen sehr eigenen Stil muss man mögen, oder eben nicht. Rating: 5/10

Will Ferrell als Ron Burgundy:

Einen weiteren Überraschungsauftritt legte Will Ferrell hin, als in seiner Rolle als Ron Burgundy aus „Anchorman“ zurückkehrte. Eine sichere Bank, würde man meinen – doch Ferrell wirkte nicht fit, hielt sich sich die meiste Zeit am Pult fest, wirkte unkonzentriert. Und verschwand kurz nach seinem Roast ohne Verabschiedung von der Bühne, während die anderen Gäste blieben. Seltsam. Rating: 5/10

Rob Gronkowski:

Neben Tom Brady war sein ehemaliger Tight Ende das zweithäufigste Opfer der Scherze. Von fast allen wurde er als dumm, langsam oder gar retarded dargestellt. Gronk nahm’s mit Humor und schlug in seinem Auftritt zurück: Unterhaltungswert besitzt der Mann in jedem Fall. Rating: 8/10

Andrew Schulz:

Der sympathische Comedian legte einen beschwingten Roast hin, der ihm selbst sichtlich Spaß machte. Solide. Rating: 7/10

Auch Kim Kardashian, Dana White, Ben Affleck und Peyton Manning legten weitere, eher kurze Roasts hin.

The Roast of Tom Brady 2

Nachdem er fast 3 Stunden von allen Seiten gegrillt worden war, durfte am Ende der Show Tom Brady selbst die Bühne übernehmen und zurückschlagen. Ein Comedian wird aus Brady nicht mehr, er wirkte nervös, unsicher und die Witze, die er vom Teleprompter ablas, verließen eher holprig seinen Mund. Trotzdem waren einige „Touchdowns“ dabei. Und obwohl sich der GOAT als humoristisch eher ungelenk präsentierte, war der Auftritt nicht unsympathisch.

Fazit

Was heißt das alles nun für die Zukunft des Roast-Formats? Viel Gutes. Denn Netflix gelang mit dem Konzept ein fulminantes Comeback und auch ein Beispiel dafür, wie ungezwungene TV-Unterhaltungsshows 2024 aussehen könnten. Ein ziemlich genialer writing staff, der offenbar keine Angst vor Shitstorms hat, Teilnehmende, die sichtlich Freude an der Sache hatten und eine mehr als solide Inszenierung und Produktion machten „The Roast of Tom Brady“ zu seinem vollen Erfolg mit hohem Unterhaltungswerte, nicht nur für Football-Fans. Man darf davon ausgehen, dass Netflix weitere Events in diesem Format planen wird. Man darf es hoffen.

Wertung

Bewertung: 8 von 10.

(81/100)

Bilder: (c) Netflix