Die erste Staffel von „Outer Range“ schaffte vor 2 Jahren etwas, das nur wenigen Serien und noch weniger Bewegtbild-Werken in letzter Zeit gelang: Sie brannte sich nachhaltig ins Gedächtnis all jener ein, die sie gesehen haben. „(…) kommentiert diese Serie unsere atemlose, unüberschaubar zerklüftete Gegenwart so treffend. Wenn sich Krisen überlagern und als sicher geglaubte Wahrheiten auflösen – warum sollte sich dann mitten in Wyoming nicht auch ein Riss im Raum-Zeit-Kontinuum auftun?“ schrieb Oliver Kaever 2022 im Spiegel, und traf damit ins Schwarze.

von Christian Klosz

Schwarz sind auch die Löcher, die sich im Boden von Wabong auftun, Schauplatz von Staffel 2 (wie schon in Staffel 1), die seit letzter Woche auf Amazon Prime Video zu sehen ist. Was genau diese Löcher sind und bedeuten wird auch in den 7 neuen Folgen von „Outer Range“ nicht aufgelöst. Und genau darin liegt immer noch der größte Reiz dieser Serie, die Fragen aufwirft, Gewissheiten in Frage stellt, nicht nur jene ihrer Protagonisten, aber keine Antworten gibt. Und wie der Kollege im Spiegel so treffend beschrieb immer noch unsere Gegenwart auf kunstvolle, verklausulierte, symbolische Art wiedergibt wie kaum eine andere rezente Film- oder Serienproduktion.

Obwohl „Outer Range“ voller ineinandergreifender und komplexer Handlungsstränge ist, ist die Handlung selbst nicht der zentrale Aspekt, es sind eher die Atmosphäre und die Welt, die gebaut wird, die fesseln. Denn Handlungsstränge, also Ereignisse in der Serienwelt, folgen nicht gängigen Gesetzen, folgen keiner Logik, weder gemessen an der Wirklichkeit, noch gemessen an gängigen Formalkriterien von Serien. Nichts macht Sinn. Und macht genau deshalb doch Sinn. Der dramaturgische Sinn liegt darin, keine Lösungen und Antworten anzubieten. Die Story-Twists, wie das in der Filmkritikersprache heißt, ein Begriff, der die Wendungen in der Wabong-Welt nur banalisiert, sind zudem nicht Selbstzweck, sondern stets Bestandteil eines erst zu erschließenden und zu begreifenden „großen Ganzen“, das weder die Protagonisten verstehen, noch das Publikum, auch nicht nach Staffel 2.

„Outer Range“, dieses philosophische und existenzialistische Meisterstück, meditiert über Raum, noch mehr über Zeit, die relativ zu sein scheint: Wir erfahren, dass Royal Abbott (erneut grimmig-stoisch: Josh Brolin) eigentlich aus einer anderen Zeit stammt, aus dem Ende des 19. Jahrhunderts, wo er als Heranwachsender durch ein schwarzes Loch im Boden in die 1960er katapultiert wurde, nachdem er seinen Vater getötet hatte. Er landete auf der Ranch der Abbots, die ihn wie ihren Sohn aufzogen. In Staffel 2 machen unter anderem auch Sheriff Joy (Tamara Podemski), Royals Sohn Perry (Tom Pelphrey), die ominöse Autumn (Imogen Poots) und Royals Intimfeind Wayne Tillerson (Will Patton) Erfahrungen mit Löchern, Zeitreisen und „übernatürlichen Kräften“. Es geht um Vermisstenfälle, Familienfehden, Rachegelüste biblischen Ausmaßes, Schuld und Sühne. Will Patton ist diesmal das darstellerische Highlight, seine Mischung aus ruraler Härte, männlicher Hybris und zerbrechlichem Wahnsinn ist ganz große Schauspielkunst.

Das Zeit-Thema lässt sich mannigfaltig deuten und interpretieren, auch das ist gewollt: Wenn man will, kann man eine Aussage über die Kontinuität alles Seins aus „Outer Range“ herauslesen, über das Miteinander-Verbunden-Sein von Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Über scheinbar unumkehrbare Konsequenzen von Handlungen, die vielleicht doch umkehrbar sind. Über Kausalität und das Unterlaufen desselben Prinzips. Im Grunde stellt „Outer Range“ alles in Frage, die Regeln, Gesetze und Gewissheiten, die unsere Zivilisation zusammenhielten, aber ohne dabei fantastisch, utopisch oder dystopisch zu werden. Das Erschreckendste ist der Realismus, der die Serie trägt, und das Verschwindenlassen von sichergeglaubten Gewissheiten in schwarzen Löchern umso wirkungsvoller illustriert: Plötzlich ist vieles weg, das immer da gewesen war und als sicher galt. Was nun? Auch hier ist die Serie ein Porträt unserer Zeit, der Welt anno 2024, der man manchmal auch einfach zu entfliehen wünscht.

„Outer Range“ lässt sich als Postmodern Western deuten, ein Genre, das die Serie vielleicht selbst erfunden oder zumindest miterfunden hat: Wie im klassischen Western geht es hier um ur-amerikanische Mythen von Landgewinnung, Besitz und die Verteidigung desselben, um die Familie als soziale Kerneinheit, die es zu bewahren gilt, um Glauben. Und um die Abwehr von Bedrohungen von außen, wobei diese Bedrohung hier sowohl Fluch, als auch Segen sein könnte, namen- und gesichtslos ist, nicht (er)fassbar – der zentrale Unterschied zu klassischen Western-Stoffen. Hinzu kommt, dass der Lebenswelt der Native Americans ebenso Raum zugesprochen wird, die Native History als gleichberechtige Geschichte zu jener der weißen Siedler präsentiert wird. Postmodern eben.

Seinen mysteriösen Grundcharakter hat sich „Outer Range“ auch in Staffel 2 bewahrt. Wer Staffel 1 mochte, den werden auch die 7 neuen Folgen packen. Werke dieser Qualität und dieses Anspruchs anhand von Zahlen zu bewerten ist eigentlich Blasphemie. Sie erzählen von der Welt und der Menschheit, werfen Fragen auf und fordern ihr Publikum heraus. Sie wirken nach, sind sowohl l’art pour l’art, als auch das Gegenteil davon. Würde man trotzdem versuchen, die neue Staffel zu bewerten, müsste man sie knapp unter dem Vorgänger ansiedeln, da sie einiges an Anlaufzeit braucht. Und der Effekt des Neuen, Revolutionären natürlich etwas verpufft ist. Vielleicht hat es auch mit einer anderen Auswahl an Autoren und Regisseurinnen zu tun. Oder damit, dass Mastermind Brian Watkins diesmal nicht mehr Showrunner war.

Man hofft dennoch, dass diese fiktive Reise, die so viel Realität birgt, weitergehen möge. Ganz am Ende, in der letzten Folge knapp vor dem Abspann, sagt Autumn zu Royal in einer Vision, „This is just the beginnining“. Sie sagt es auch zum Publikum. Und zu den Verantwortlichen von MGM und Amazon. Denn ob „Outer Range“ weitergehen darf, entscheiden sie.

Bilder: (c) Amazon MGM Studios bzw. © Amazon Content Services LLC