Die hellenischen Sagen und Mythen bieten reichen Stoff für Adaptionen aller Art. Netflix versucht es mit einer 8-teiligen Serie, die die Geschehnisse rund um Zeus, Hera, Dionysos, Orpeus und Co. in die Gegenwart verlegt. Unter dem Titel „Kaos“ ist das Ergebnis seit kurzem zu streamen.
von Christian Klosz
Geschaffen wurde die Adaption von der britischen Drehbuchautorin Charlie Covell (die inzwischen im Englischen die Pronomen „they/them“ verwendet). Sie interpretiert die griechischen Götter- und Heldensagen als postmoderne schwarze Komödie neu. „Kaos“ war bereits seit 2018 in Entwicklung, ursprünglich sollte übrigens Hugh Grant die Rolle von Göttervater Zeus übernehmen. Aufgrund von Terminkollisionen übernahm Jeff Goldblum – der sich als eindeutiges Highlight der Serie entpuppt.
Dieser (post)moderne Zeus, stets im stilsicheren Trainingsanzug unterwegs, herrscht in einem prunkvollen Palast über Kreta. Ab und zu ist auch Zeus‘ dauernörgelnde Gattin Hera ( Janet McTeer) zugegen, die Beziehung der beiden lässt sich aber eher als Zwecksehe bezeichnen, der Göttervater vertreibt sich seine Zeit gern mit anderweitigen Affären. Oder mit Poolboy-Schießen, das der seelischen Entspannung und dem Abbau von Stress dienen soll: Fesche Burschen in knappen Shorts müssen sich von einer meterhohen Mauer stürzen, Zeus versucht sie mit seinem Gewehr zu erwischen, bevor sie auf den Boden klatschen. Jeder braucht halt sein Hobby.
Doch trotzdem ist Zeus nicht glücklich: Er beobachtet der Verfall von Respekt und Ehrfurcht gegenüber ihm und seinen Götterkollegen seitens der menschlichen Untertanen. Und gerät darob zunehmen in die Krise, da ihn Angst befällt, sein göttliches Imperium könnte kurz vor dem Fall stehen. Davon ausgehend spinnt Charlie Covell diverse griechische Sagen weiter, verwebt sie zu einem neuen Ganzen, das aber nie wirklich rund wirken will.
Denn der größte Schwachpunkt von „Kaos“ ist seine Überladenheit, seine Überambition: Covell hat sich zu viel zugemutet, wie soll man auch zig Sagen in einer 8-teiligen Serie unterbringen, wenn Homer allein für seine Odyssee hunderte Seiten brauchte? Da hilft es auch wenig, dass die Sequenzen mit Goldblum immer recht unterhaltsam sind, wenn man bei den (zu) vielen Nebenhandlungssträngen schnell das Interesse verliert. „Kaos“ hätte gut daran getan, sich auf 2, 3 Charaktere zu konzentrieren und nicht seinen Titel zum Leitsatz zu machen, nicht zu versuchen, fast die gesamte literarische Tradition einer antiken Zivilisation in eine Mini-Serie zu packen.
Ganz gut gelungen ist hingegen der Versuch, die antike Welt in die postmoderne Gegenwart zu transportieren. Wie zu erwarten war gehört dazu auch, dass der Cast divers ist, die Protagonisten nur bedingt wie „Hellenen“ aussehen. Wenn man mag, kann man „Kaos“ auch als „queer“ bezeichnen, Homosexualität etwa wird ausgiebig dargestellt. Wobei sich hier Antike und Postmoderne treffen: Männliche Homosexualität war nämlich damals tatsächlich recht normaler Teil des hellenischen Alltags, zumindest in den gehobenen Schichten. Durch seine Queerness macht sich die Serie andererseits teilweise recht nischig, erneut ist es Zeus Goldblum, der den Mainstream-Appeal sichert.
„Kaos“ bietet, wie das Augangsmaterial, vielfältige Möglichkeiten zur Interpretation: Gelangweilte, dekadente Götter auf der einen, unterdrückte und arme Menschen auf der anderen Seite – da muss man nicht lange überlegen, um die Serie auch als Kritik an herrschenden Zuständen, an den Reichen und Mächtigen, den „Eliten“ oder allgemein dem Kapitalismus zu lesen. Auch Populismus-Kritik bringt sie an: Der eitle Zeus, mit sich steigernder Unruhe in seiner Bevölkerung konfrontiert, überlegt, wie er wieder für Ruhe sorgen kann. Seine Lösung: Spaltung und Angst – damit alles so bleibt, wie es ist.
Fazit
Interessanter Ansatz, mangelhafte Ausführung: „Kaos“ leidet an seinem dramaturgischen Chaos, das zu viele und zu ausufernde Handlungsstränge vorweist, sich zu oft in Details verliert und zu überladen wirkt. Die Szenen mit Jeff Goldblum retten die Serie vor Schlimmerem. Und der ambitionierte Ansatz verdient Respekt auch wenn weniger mehr gewesen wäre.
Bewertung
(65/100)
Bild: (c) Netflix
