1926 erweckte Lotte Reiniger mit „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ Schatten zum Leben – in Spielfilmlänge, in Handarbeit, in Perfektion. Und als erster Animationsfilm der Filmgeschichte, elf Jahre vor Disneys „Schneewittchen“. Es ist Zeit, ihr Vermächtnis zu feiern und ihr Meisterwerk wiederzuentdecken (inklusive Video).

von Christian Oehmigen

Wenn wir an den ersten abendfüllenden Animationsfilm denken, dann kommt den meisten von uns der Disney-Zeichentrickfilm “Schneewittchen und die sieben Zwerge” von 1937 in den Sinn, dessen Live Action-Remake aktuell die Meinungen spaltet. Wer aber etwas tiefer in der Filmgeschichte schürft, stößt auf den Namen einer Person, die schon viel eher einen Animationsfilm in Spielfilmlänge herausbrachte. Die Rede ist von Lotte Reiniger und ihrem Silhouetten – Animationsfilm von 1926 “Die Abenteuer des Prinzen Achmed”.

Die Silhouetten-Technik war damals nicht neu, von dem Schattenspiel in Südostasien zu den europäischen Schattenportraits des 18 Jahrhunderts war sie beliebt. Aber nie zuvor wurde sie im Film eingesetzt. Genau das hat Lotte Reiniger revolutioniert. In mühevoller Kleinarbeit hat sie einen Zeichentrickfilm auf die Leinwand gebracht, die sehr stark von “Tausendundeine Nacht” inspiriert ist.

Die Handlung

Am Geburtstag des Kalifen taucht ein geheimnisvoller Zauberer auf, der ein fliegendes Pferd präsentiert. Der Kalif möchte daraufhin das Zauberpferd mit Gold kaufen. Jedoch hat der Zauberer einen ganz anderen Schatz ins Auge gefasst: Dinarsades, die Tochter des Kalifen. Als diese sich widerwillig dem Zauberers beugt, mischt sich ihr Bruder Prinz Achmed ein. Daraufhin bringt der gerissene Zauberer Achmed dazu, sich auf das Zauberpferd zu setzen. Zu spät bemerkt Achmed die Falle und erhebt sich in die Lüfte.

Erst nach einer Weile erkennt er den Hebel, der das Pferd wieder abwärts treibt. Er landet auf der mysteriösen Insel Wak Wak, auf der die schöne Pari Banu lebt. Für Prinz Achmed ist es Liebe auf den ersten Blick. Er möchte Pari Banu heiraten und zu sich nach Hause mitnehmen. Aber Pari Banu ist die Herrscherin der Dämonen auf Wak Wak – und die wollen ihre Herrin auf der Insel behalten oder sie gleich ob des Verrates töten. Auch hat der Zauberer den Standort seines Zauberpferdes erfahren und will dem Paar übel mitspielen. Achmed muss nicht nur gegen den Zauberer kämpfen, sondern auch gegen eine Horde von Dämonen aus Wak Wak. Da kommt ihm ein junger Mann namens Aladin zu Hilfe.

Die Umsetzung

“Die Abenteuer des Prinzen Achmed” ist eine fesselnde Geschichte, getragen von der großartigen Zusammenarbeit zwischen Lotte Reinigers visueller Bildpracht und der Musik von Wolfgang Zeller. Der Komponist wurde früh in den Animationsprozess eingebunden, um eine enge Abstimmung zwischen Bild und Ton zu gewährleisten. Der Umstand, dass es sich hier um einen Spielfilm handelt, der keine reale Personen zeigt, sondern ausgeschnittene Figuren, aber uns trotzdem fesselt illustriert auf eindrückliche Weise, wozu das Medium Film damals schon in der Lage war.

Wie aufwändig die Umsetzung war, lässt sich gut an den Zahlen ablesen: 3 Jahre hat die Produktion gedauert. 250.000 Einzelbilder wurden erstellt und 96.000 wurden im Film verwendet. Lotte Reiniger hat dabei selbst die Figuren aus schwarzem Karton ausgeschnitten und verband die beweglichen Teile mit Faden, um sie zu animieren.

Die Abenteuer des Prinzen Achmed
Impression aus dem Film

Um alles zu filmen, hat sie zusammen mit ihrem Mann Carl Koch die Mehrfachebenen-Kamera oder Multiplane Kamera entwickelt. Dabei wurden auf einem Glastisch die ausgeschnittenen Silhouettenfiguren aufgelegt und dann im Stop Motion-Verfahren gefilmt. Es sollte genau dieses Verfahren sein, das Walt Disney und sein Team später weiterentwickeln würde. Das Endergebnis war letztendlich “Schneewittchen und die sieben Zwerge”, der erste abendfüllende Zeichentrickfilm aus dem Hause Disney. Ganze 11 Jahre nach Lotte Reinigers Film.

Die Bedeutung

„Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ ist ein wichtiger und prägender Film nicht nur für die deutsche Filmgeschichte, sondern auch für das Animationsfilmgenre überhaupt. Ohne Reiningers Arbeit gäbe es die berühmten Disney-Klassiker so wohl nicht. Eine Wiederentdeckung lohnt sich allemal – und wer will, kann den Film direkt hier bei uns sehen (siehe Video unten).

Es sollte aber Lotte Reinigers einziger Langspielfilm bleiben, wobei sie viele weitere Kurzfilme in dem Scherenschnitt-Stil drehte, in späteren Jahren kamen auch Werke in Farbe hinzu. Sie arbeitete in ihrer Karriere auch mit anderen großen Regisseuren wie Fritz Lang, G. W. Pabst und Jean Renoir zusammen. Letzterer war so begeistert von „Prinz Achmed“, dass er eine große Premiere in Paris organisierte – noch vor der deutschen Premiere in Berlin. Fast hätte das eigene Land dieses Meisterwerk verschlafen.

Man kann zusammenfassend also durchaus sagen, dass Reiniger einen Platz im Pantheon der einflussreichsten Regisseur/innen der Filmgeschichte verdient hat. Ihr Film „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ erinnert uns daran, was mit Geduld, Herzblut und einer klaren Vision alles möglich ist – und könnte heutigen Filmemachern als stille Lehrstunde in Sachen Kreativität dienen.

Übrigens zeigen auch aktuelle Werke wie „Flow“ oder „Der wilde Roboter“ (beide 2024), dass sich Animationsfilme noch immer mutig vom Mainstream abheben können – durch neue Erzählweisen, originelle Ästhetik oder eine ganz eigene Handschrift.

Der Film

Wer sich selbst ein Bild machen will: Hier gibt es „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ in voller Länge zu streamen. (Quelle: archive.org / public domain)