Seit 3. Oktober 2025 ist sie nun zu sehen, die neue Staffel der Anthologie-Serie “Monster” auf Netflix, unter dem Titel “Die Geschichte von Ed Gein”. Showrunner ist erstmals Ian Brennan alleine (ohne Ryan Murphy) – und wie zu erwarten war setzte sich die 8-teilige Mini-Serie an die Spitze der Netflix-Serien-Charts und sorgt seither für hitzige Diskussionen. Doch viele von ihnen ignorieren die Intention dieses Werks und gehen am Kern vorbei.

von Christian Klosz

Infos zur Handlung, Produktion und zum “echten” Ed Gein

Dass Ed Gein Protagonist von “Monster” werden würde, war nur eine Frage der Zeit. Immerhin gilt der “schüchterne Mann aus Wisconsin”, der zum “Butcher of Plainfield” wurde, bis heute als einer der “einflussreichsten Serienkiller aller Zeiten”, und das ist gar nicht geschmacklos gemeint: Geins Story beeinflusste zahlreiche fiktive Werke von Hitchcocks “Psycho” über “Texas Chainsaw Massacre” bis hin zur Figur des Buffalo Bill in “Das Schweigen der Lämmer”. Und darüber hinaus auch zahlreiche andere Täter, die sich Geins abscheuliche Taten als Vorbild und Inspiration nahmen.

“Monster: Die Geschichte von Ed Gein” ist ein Meta-Essay über “das Böse”

“Monster: Die Geschichte von Ed Gein” legt einen seiner thematischen Fokusse daher auch auf diesen Aspekt: Die Faszination des “Bösen” und die (massen-)mediale Verarbeitung und Verwertung realer Alpträume. Die Serie ist also ein Meta-Kommentar auf den “True Crime-Hype”, von dem sie selbst profitiert.

Der zweite behandelte Aspekt ist die Frage, woher “das Böse” kommt. Ob “menschliche Monster” geboren (nature) oder gemacht (nurture) werden (Ryan Murphy verriet dies unlängst in einem Podcast-Interview mit Gavin Newsom). Und welche Verantwortung der Gesellschaft dabei zukommt. Die Serie löst das auf kluge, äußerst diffizile Weise, indem sie auch nicht davor zurückschreckt, Ed Gein menschliche Züge zu attestieren; eine bewusste Provokation, die nicht überall gut ankommt.

Doch “Monster: Die Geschichte von Ed Gein” entschuldigt an keiner Stelle Geins grausame Taten. Die Serie will aber ergründen, warum Gein tat, was er tat. Eine abschließende Erklärung gibt es natürlich nicht. Aber Brennans bemerkenswertes Drehbuch macht 3 Hauptgründe aus, die sich weitgehend auch mit den überlieferten Tatsachen des Falles decken:

Warum tat Ed Gein, was er tat?

1. Litt Gein litt an Schizophrenie, was allerdings erst spät (bei der Anhaltung in einer psychiatrischen Anstalt) diagnostiziert wurde. Er hatte Wahnvorstellungen, konnte zeitweise nicht zwischen Realität und eigens kreierter Fiktion unterscheiden und sich laut eigenen Aussagen (durch Lügendetektor bestätigt) nicht an seine Taten (oder Details) erinnern. Sein Zustand stabilisierte sich erst, als er in der Psychiatrie entsprechend behandelt wurde, auch medikamentös. Diese Tatsachen wurden bereits vor über 70 Jahren anerkannt, weshalb Gein (anders als viele andere bekannte Serienkiller) von Gerichten als unzurechnungsfähig eingestuft wurde.

2. Ed Gein wuchs mit einer kranken, kontrollsüchtigen, hyperreligiösen Mutter auf, die ihn über Jahre emotional und psychisch missbrauchte und ihn von anderen Menschen isolierte. Und die sich als bösartige Stimme in sein Bewusstsein einschrieb, die ihn noch lange Zeit nach ihrem Tod verfolgte. Damit im Zusammenhang stehen auch Geins unterdrückte sexuelle Begierden, wobei die Frage offen bleibt, ob diese in gewisser Weise “angeboren” waren (cross-dressing, Erregung durch weibliche Unterwäsche etc.) und deren Unterdrückung zur Eskalation führten oder ob sie erst durch die Unterdrückung jeglicher Sexualität durch seine Mutter (“Alle Frauen sind böse!”) hervorgebracht wurden.

3. Als dritten (Mit-)Grund macht “Monster: Die Geschichte von Ed Gein” die Beeinflussung des Protagonisten durch andere, reale Gräueltaten aus, insbesondere jene der “Bitch from Buchenwald”, wie die Nazi Ilse Koch nach dem 2. Weltkrieg in Exploitation-Comics genannt wurde – und die Gein laut Serie las: Er habe von den Taten Kochs erfahren – sie soll unter anderem Lampenschirme aus der Haut von in KZs getöteter Juden gemacht haben – und habe dieses Grauen nicht erfassen und verarbeiten können. Um das Unfassbare zu “normalisieren”, beging er dann selbst ähnliche Taten.

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Laurie Metcalf als Ed Geins Mutter

Wenn Wirklichkeit und Fiktion verschwimmen

Freilich ist Punkt 3 reine Spekulation, wie der Einfluss Kochs überhaupt. Dieser Aspekt wird aber ohnehin nur als Nebenstrang etabliert, um auf ein anderes zentrales Thema der Serie zu verweisen: Die Gegenseitige Durchdringung und Beeinflussung von Wirklichkeit und Fiktion. Geins schizophrene Geisteswelt folgte dieser Logik, Autor Ian Brennan überträgt sie in gewisser Weise auch auf den Charakter seiner Serie.

Jene Stimmen, die der Serie fehlende Detailtreue vorwerfen, verstehen ihre Intention nicht: Sie behauptet an keine Stelle, eine dokumentarische Rekonstruktion zu sein. Sie will auch kein auf Sensationalismus und Schockwirkung setzendes Horror-Schauermärchen sein. Der Großteil der biografischen Eckdaten zu Geins Leben sind im Übrigen auch korrekt dargestellt.

Darum geht es aber Ian Brennan gar nicht: “Monster: Die Geschichte von Ed Gein” will eine düstere Fabel sein, ein grausiges Märchen, eine Parabel über “das Böse”, seine Genese und sein Wirken in der und auf die Gesellschaft: als real existierende Tatsachen (Morde); als abstrakte Idee und als metaphysisches Konzept; als Projektionsfläche; als Inspiration und Warnung. Immer wieder wird diese gegenseitige Durchdringung von Wirklichkeit und Fiktion auch inszenatorisch dargestellt, durch kreativen Einsatz von Schnitten, Überlagerungen von Szenerien, etwa bei der Darstellung des Drehs von “Psycho” mit Anthony Perkins, der eine fiktionalisierte Version von Ed Gein spielen sollte, während Joey Pollari in Monster die fiktionalisierte Version dieser fiktionalisierten Version spielt.

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Tom Holland als Alfred Hitchcock am Set von “Psycho”

Wer ist das Monster?

Neben der psychologischen Ergründung von Geins Taten und dem Medien-Thema stellt die dritte Staffel von “Monster” aber implizit auch eine Frage, die bereits in den vorigen Staffeln im Raum schwebte – und hält damit dem Publikum und sich selbst den Spiegel vor: Wer ist hier das wahre Monster?

Hier lässt sich auch Hauptdarsteller Charlie Hunnam zitieren, der Ed Gein schlicht überragend spielt, und diese Frage (Wer ist das Monster?) in einem Interview mit dem Holywoord Reporter so formulierte: “Is it Ed Gein who was abused and left in isolation and suffering from undiagnosed mental illness and went and that manifested in some pretty horrendous ways? Or was the monster the legion of filmmakers that took inspiration from his life and sensationalized it to make entertainment and darken the American psyche in the process? Is Ed Gein the monster of this show, or is Hitchcock the monster of the show? Or are we the monster of the show because we’re watching it?”

Die Antwort ist: Alle, irgendwie, in unterschiedlichem Ausmaß. Man kann “Monster: Die Gschichte von Ed Gein” auch als eine selbstironische “Selbstanklage” lesen, da sie natürlich von dem makabren Hype profitiert, den sie kreiert und zugleich kritisiert. Sie sich dessen aber stets bewusst, was ihr eine subversive Qualität verleiht.

Fazit

“Monster: Die Geschichte von Ed Gein” ist ein komplexes filmisches Essay über das Wesen des Bösen. Die Taten des Ed Gein sind nur Vorwand für eine tiefgründige Reflexion, da ähnelt die Staffel auch den Vorgängern. Wer also eine detailgetreuer Rekonstruktion oder plumpen Sensationalismus erwartet, wird enttäuscht sein. Wer sich aber darauf einlässt, wird mit einer anspruchsvollen, gut gemachten und großartig gespielten Serie belohnt, die mit zum Besten gehört, was das eher maue Streaming-Jahr 2025 bisher zu bieten hatte.

Bewertung

Bewertung: 9 von 10.

(85/100)

“Monster: Die Geschichte von Ed Gein”, seit 3.10.2025 auf Netflix.

Ihr fandet die Serie furchtbar und könnt mit der obigen Einschätzung gar nichts anfangen? Hier könnt ihr unsere CONTRA-Kritik von Natascha Jurácsik lesen, die die Sache auch ganz anders sieht.

“Monster: Die Geschichte von Ed Gein” – Trailer

Bilder: (c) Netflix