Seit 2.5. ist auf Netflix die Miniserie „Ein ganzer Kerl“ („A Man in Full“) zu sehen. Es handelt sich dabei um eine Adaption von Tom Wolfes gleichnamigem Roman aus dem Jahr 1998. Die 6 Folgen erzählen vom Niedergang des in Atlanta residierenden Immobilienmoguls Charlie Croker (Jeff Daniels), der sich finanziell übernommen hat – nun machen andere, allen voran Bankier Harry Zale (Bill Camp) und dessen Angestellter Raymond Peepgrass (Tom Pelphrey), bei deren Institut Croker mit fast einer Milliarde in der Kreise steht, Jagd auf ihn und sein Vermögen.

von Christian Klosz

„Ein ganzer Kerl“ ist die klassische Verfallsgeschichte eines von Ego und Hybris Getriebenen. Der Mikrokosmos, in dem die Serie spielt, entstammt eindeutig der Feder Tom Wolfes, dessen Talent, literarische Welten zu bauen, gekonnt auf den Bildschirm übertragen wurde. Verantwortlich dafür ist in erster Linie US-Serien-Legende David E. Kelley („Mr. Mercedes“, „The Lincoln Lawyer“), der das Drehbuch verfasste und auch als Showrunner tätig war. In der Regel wird alles, das er anfasst, zu Gold. Oder zumindest zu solidem Silber. Und das trifft auch hier zu. Die Regie bei den 6 Folgen von „Ein ganzer Kerl“ übernahmen übrigens zu gleichen Teilen Regina King und Aaron Sorkin-Kollaborateur Thomas Schlamme.

Neben dem gelungenen Grundkonzept und world-building sticht die Besetzung und auch deren Leistung ins Auge: Jeff Daniels als Croker mit seinem larger-than-life-Habitus und breitem Südstaaten-Akzent ist ein Hingucker und das Highlight von „Ein ganzer Kerl“. Aber auch die Auftritte von Bill Camp und Tom Pelphrey lassen sich sehen. Die Nebenrollen sind mit weiteren bekannten Namen wie Diane Lane, Lucy Liu oder William Jackson Harper besetzt, die ihren Job ebenfalls ziemlich gut machen. Musikalischer Leckerbissen am Rande: 90s-Ikone Shania Twain darf einen Kurzauftritt hinlegen.

Obwohl eindeutig Wolfe-Adaption und damit bitterböse Satire auf die USA und universelle Story über die Schattenseiten des Kapitalismus, verweist „Ein ganzer Kerl“ mehrfach Richtung Gegenwarts-Amerika – und damit auch auf Donald Trump: Gewisse Ähnlichkeiten zwischen ihm und Jeff Daniels Charlie Croker sind nicht von der Hand zu weisen, zuallererst natürlich ihr auf Pump gebautes, brüchiges Immobilien-Imperium, das vor dem Kollaps steht. Beide verstehen sich als unantastbare „Macher“ und reagieren mit unfassbarer Wut auf jene, die hinter die Fassade blicken und diese einreißen wollen.

In einer bedeutenden Szene trifft Croker auf Banker Zale, der 800 Millionen Schulden zurückfordert. Der Disput endet in einem symbolisch aufgeladenen handshake-Wettkampf: Die Kamera zoomt auf Crokers Hand, die er erst scheinbar unterwürfig öffnet, um danach sekundenlang jene seines Kontrahenten zu quetschen, bis die Knöchel weiß werden. Gleiche Aufnahmen sind von Trump überliefert, ein wohl nicht nur zufälliger Hint. Natürlich lässt sich auch in Crokers „Liebesleben“ (ältere, geschiedene Ex-Frau, junge „trophy-wife“) eine Parallele erkennen. Der Unterschied zwischen Croker und Trump: Ersterer offenbart zumindest gegen Ende hin Lernfähigkeit.

Die Handlung von „Ein ganzer Kerl“ wurde ins Jahr 2024 übertragen und verweist daher mehrfach auch Themen, die die USA aktuell bewegen (abgesehen von größenwahnsinnigen Immobilienmogulen): Rassismus, Polizeigewalt, dreckige politische Deals, der Kampf um Macht und öffentliches Ansehen, nicht zuletzt Vorwürfe sexueller Gewalt als perfides „Kapital“ im politischen Spiel: Die Serie lässt bei ihrem Blick auf diese Phänomene allerdings genügend Ambivalenzen zu, um nicht „preachy“ oder gar banal rüberzukommen – ein weiterer Verdienst David E. Kelleys.

Zuletzt glänzt „Ein ganzer Kerl“ mit einem erstklassigen Soundtrack, eine äußerst ansprechende Mischung aus Blues- und Rock’n’Roll-Klassikern, Pop-Hits der letzten Jahrzehnte und verzerrten Gitarrensounds, die allesamt clever platziert wurden (übrigens auch nicht untypisch für Kelley-Produktionen).

Ein ganzer Kerl Serie Netflix Bill Camp

Während die Serie alles in allem eine recht gelungene und runde Angelegenheit ist, kann man den Umfang einiger Nebenhandlungsstränge kritisieren: Der (schwarze) Mann einer von Crokers Mitarbeiterinnen wird infolge eines Parkvergehens gewalttätig gegen einen Cop und landet im Gefängnis. Und der (schwarze) Bürgermeister Wes Jordan kämpft um seine Wiederwahl gegen einen Populisten. Inmitten dieser Dramen findet sich Crokers „fixer“ und Anwalt Roger White (Aml Ameen) wieder, der zunehmend mit Gewissensbissen zu kämpfen hat. Insbesondere der erste dieser Stränge soll dazu dienen, Rassismus im heutigen Amerika zu illustrieren. Da er aber – im Gegensatz zu dem Wes Jordan-Strang – keine wirkliche Relevanz für den Fortgang der Haupthandlung hat, wirkt er teilweise als Fremdkörper und etwas zu erzwungen.

Fazit

Auf David E. Kelley kann man sich weiter verlassen: Mit „Ein ganzer Kerl“ gelingt ihm erneut eine sehenswerte Literaturadaption in ansprechendem Setting, einer relevanten Story und tollen Schauspielern. Die Serie bietet überdurchschnittlich gute Fernsehunterhaltung für mehrere Stunden.

Wertung

Bewertung: 8 von 10.

(80/100)

„Ein ganzer Kerl“ – seit 2.5. auf Netflix.

-> Weitere Tom Wolfe-Adaption: „Fegefeuer der Eitelkeiten“ von Brian de Palma

Info: Der Beitrag wurde am 4.5. upgedatet.

Bilder: © 2024 Netflix, Inc.