von Marius Ochs
Staten Island scheint eigentlich kein Teil von New York zu sein, zumindest nicht von dem New York, das man normalerweise in Filmen und Serien zu Gesicht bekommt. Keine hippen Szene-Bars, keine Straßenmusiker mit Star-Potenzial, keine skrupellosen Anzugträger mit High Society-Drogenproblemen. Staten Island ist ein Kaff, in dem jeder jeden kennt. Menschen mit Träumen sind hier die Ausnahme und im Schatten der Wolkenkratzer herrscht fast schon provinziale Normalität. Mittendrin finden wir den volltätowierten, verkifften und depressiven Scott, gespielt von US-Comedian Pete Davidson.
Er spielt nicht nur die Hauptrolle, sondern hat auch am Drehbuch mitgewirkt, das ganz nebenbei auf seiner Lebensgeschichte basiert, dessen Ausgangspunkt der Tod seines Vaters ist. Im echten Leben starb der Feuerwehrmann während des 9/11-Einsatzes, der Film-Vater von Scott stirbt bei einem Hotelbrand, als dieser sieben Jahre alt ist. Depressionen und Morbus Crohn sind die Folge dieser schwierigen Kindheit und der mittlerweile 24-Jährige wohnt noch immer zu Hause. Gras und der Traum eines Tattoo-Restaurants sind sein Lebensinhalt. Als dann noch seine Schwester auszieht um aufs College zu gehen und seine Mutter einen neuen Freund findet, wird die Luft für ihn dünner. Die Zeit ist reif, auf eigenen Beinen zu stehen.

Staten Island gelangte vor 30 Jahren schon einmal zu Weltruhm. Der Wu-Tang Clan taufte Staten Island kurzerhand zu „Shaolin“ um, und startete von hier seinen Siegeszug in der Musikwelt. Auf dem Plakat zum Film prangt ebenjenes Schlagwort als tätowierter Schriftzug sehr präsent auf Scotts Bauch. Die Shaolin-Philosophie macht dann auch den Film aus: Das Leben ist ein Kampf und du kämpfst am besten, wenn du deine innere Mitte gefunden hast. Dabei zuzuschauen, wie Scott diesen Kampf annimmt und immer besser darin wird, erwärmt das Herz.
Im Kern ist „The King of Staten Island“ ein Film über Familie. In einer der Schlüsselszenen des Films erfährt Scott beispielsweise, dass sein Vater nicht nur der strahlende Held aus den Geschichten seiner Mutter war, sondern dass auch er seinen Spaß am Koks und nicht immer alles unter Kontrolle hatte – eben ein Mensch war. Diese Erkenntnis, kombiniert mit Arbeit und Gemeinschaft helfen Scott sich aus seinen Depressionen heraus zu kämpfen. Es ist sehr sympathisch, dass im Film „Normalität“ als ein erstrebenswertes Ziel erscheint. Gleichzeitig liegt hier aber auch ein Problem des Films: Die Szenen, in denen Scott sich seiner Depression erwehrt sind durch Pacing-Probleme unglaubwürdig. Mentale Krankheiten wurden cineastisch schon besser behandelt.
Judd Apatow-typisch ist jedoch der Humor dabei die große Stärke des Films. Während der ersten Hälfte des Films verschwindet das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht und auch in der zweiten, emotionaleren Hälfte gibt es diverse liebenswürdige Momente, die zum schmunzeln einladen. Erfrischend, wie es Apatow schafft, ein ganz anderes Milieu, als man es aus seinen Filmen gewohnt ist, darzustellen, ohne dabei von oben herab zu erzählen. Er wirkt nicht wie ein Beobachter, viel mehr überzeugt die Kamera durch eine gewaltige Nähe zu den Charakteren, die auch das Herzstück des Films sind. Haupt- und auch Nebencharaktere sind mit ihren Ecken und Kanten durchweg sympathisch. So sympathisch, dass es schade war, nicht noch mehr von Scotts Freundeskreis und vor allem seiner Liebschaft, herausragend gespielt von Marissa Tomei, gesehen zu haben. Aber auch die Charakterentwicklungen von Scott, seiner Mutter und ihrem neuen Freund sind dynamisch, glaubhaft und von Grund auf charmant. Es ist immer ein gutes Zeichen, wenn ein Film gerne noch länger gehen dürfte.

Fazit
“The King of Staten Island” ist ein Feel-Good-Movie im positivsten Sinne. Ein sympathischer Protagonist, umgeben von einer ganzen Reihe liebenswerter Charaktere, der anfängt sich im Leben zurechtzufinden und mit seinen Problemen umzugehen lernt. Hoffnung und Freude am Leben sind Botschaften, die gerade im Moment dringend gebraucht werden. Viele gute Witze, durchweg gute Schauspielleistungen und eine Reihe wirklich schöner Bilder machen den Film zu einem der kleinen Highlights dieses ungewöhnlichen Kinosommers. Die kleineren Schwächen lassen sich verschmerzen und so ist das Werk eine Empfehlung für jeden, der eine Komödie mit dem Herz am rechten Fleck zu schätzen weiß. Hip-Hop Fans dürfen sich zudem auf diverse Cameos und Bildreferenzen freuen.
Bewertung
(80/100)
Bilder: (c) Universal Pictures