von Cliff Brockerhoff

Die cineastische Varianz des Mediums Film scheint unerschöpflich. Ob der endlos anmutenden Reihe an Genres, Subgenres und Möglichkeiten diese miteinander zu kombinieren, dürfen sich Fans des Bewegtbildes immer wieder über neue Emporkömmlinge freuen, welche wiederum in ihrer Tiefe variieren. Ein Regisseur, der seine Zuschauer nicht nur unterhalten, sondern auch geistig fordern möchte, ist der Amerikaner Charlie Kaufman, der mit seinem neuen Werk ein spannendes Experiment wagt.

Spannend nicht etwa, weil Kaufmann einen rasanten Thriller mit zahlreichen Wendungen serviert – nein: „I’m thinking of ending things“ lässt sich eher als entschleunigtes Drama betiteln, wird aber nicht etwa dem hungrigen Arthouse-Publikum, sondern auf Netflix der breiten Masse präsentiert. Wo es normalerweise eher ordentlich knallt und einem die Computereffekte nur so um die Ohren fliegen, begegnet uns jetzt also ein zähes Konstrukt aus Tiefgang, Innovation und Poesie. Und dabei beginnt alles noch so harmlos. Lucy und Jake, gerade frisch verliebt, befinden sich auf dem Weg zu Jakes Eltern und somit potentiellen Schwiegereltern der rothaarigen Physikerin. Doch schon während der Fahrt wird deutlich, dass die Liebe schon wieder auf ihr Ende zusteuert, denn Lucy denkt, angelehnt an den Titel des Films, darüber nach Schluss zu machen.

Das Ganze ist allerdings bisher nur ein Gedanke, der sich eingeschlichen und dort verankert hat. Eine konkrete Herangehensweise bleibt ihr verborgen, und so beschränkt sich die Konversation des Pärchens auf bedeutungsschwere Metaphorik, verpackt in der Zitierung von Gedichten, umrahmt von einer verschneiten Landschaft, die die unterkühlte Stimmung zwischen den Protagonisten in tiefgekühlte Regionen treibt. Wer die nervenzehrende Fahrt ohne Frostbeule überstanden hat und nun auf eine Normalisierung hofft, wird mit Zornesröte die innere Kälte bekämpfen, denn spätestens ab der Ankunft in Jakes Elternhaus wird es vollkommen verrückt und es fällt mit Fortlauf immer schwerer überhaupt nachvollziehen zu können, was sich dort zuträgt.

Die Eltern, grandios gespielt von Toni Colette („Hereditary“) und David Thewlis (bekannt als Remus Lupin im „Harry Potter“-Franchise) lassen sich ohne Zweifel als schrullig bezeichnen, und das ist wahrscheinlich noch ein Euphemismus dritten Grades. Die Gespräche, das Verhalten und das ganze Miteinander wirken vollkommen bizarr, wobei Colettes wahnwitziges Gelächter beispielsweise eher an den Joker als an eine mitfühlende Mutter erinnert. Je länger sich die Szenerie zuträgt, desto verwirrender gestaltet sich das muntere Treiben, und was anfangs wie ein leicht verschrobenes Beziehungsdrama wirkt, schlägt fortan eine vollkommen andere Richtung ein. Kaufman nutzt die gesamte Bandbreite der Vielfalt und scheut sich nicht davor den befestigten Weg zu verlassen und seine Betrachter vor gleich mehrere Rätsel zu stellen.

Oberflächlich erinnert „I’m thinking of ending things“ dabei starkt an Aronofsky’s Meisterwerk „mother!“, wobei der religiöse Anteil subtrahiert werden muss. Aber auch das alte Familienhaus besitzt mehrere Etagen, auf denen sich seltsame Ereignisse zutragen und die offensichtlich erzählte Geschichte wird immer mehr zum Mittel zum Zweck. Die eigentliche Aussage Kaufmanns verbirgt sich hinter einer festen Fassade, hinter die der Zuschauer erst am Ende zu blicken vermag. Wer den leisen Tönen der Bildsprache lauscht und aufmerksam die Veränderungen in den Farbtönen und den Details wahrnimmt, sieht sich nach den mehr als zwei Stunden Laufzeit einem zutiefst traurigen Werk gegenüber, das ungeheuer feinfühlig und kreativ inszeniert ist – und somit dem typischen Blockbuster Fan mit Anlauf vor der Kopf stoßen wird.

Fazit

In höchstem Maße metaphorisch, auf schönste Weise melancholisch und zu keiner Sekunde langweilig. Charlie Kaufman stellt in „I’m thinking of ending things“ die essentiellen Fragen des Lebens und hinterfragt nicht nur eine Liebesbeziehung, sondern vielmehr die Beziehung des Individuum zu seiner eigenen Existenz. Eine eiskalte Atmosphäre umschmeichelt diesen zähen Bastard, der keinerlei Exposition, dafür aber ganz viel Freiraum zur Interpretation bietet. Sollte man mögen. Kann man lieben. Muss man anerkennen.

Bewertung

Bewertung: 8 von 10.

(83/100)

Bilder: ©Netflix