Jedes Filmfestival hat seine (heimlichen) Favoriten, die idealerweise auch mit Preisen prämiert werden. Manche bleiben dennoch im Regen stehen, obwohl sie auf uneingeschränkte Zustimmung beim Publikum treffen. Im Programm der Berlinale 2021 ereilt dieses Schicksal den wunderbaren georgischen Film „What do we see when we look at the sky?“, der bei der Preisverleihung unverständlicherweise völlig leer ausging. Regisseur Alexandre Koberidze zaubert ein 2,5-stündiges modernes Märchen voller cineastischer Moment, die sich sogar auf den virtuellen Bildschirm übertragen: Ein originäres Filmkunstwerk eines noch jungen Filmautoren mit großer Zukunft.

von Christian Klosz

„What do we see when we look at the sky?“ beginnt bereits wie ein Märchen. Lisa und Giorgi, zwei junge Georgier aus der Kleinstadt Kutaissi, stolpern am Gehsteig ineinander, ein Buch fällt zu Boden, es scheint wie Liebe auf den ersten Blick: Die beiden Unbekannten verabreden sich zum einem Date, zu einer bestimmten Zeit, an einem bestimmten Ort, ohne ihre Namen oder Handynummern auszutauschen. Am nächsten Morgen jedoch erwachen beide mit anderem Aussehen: Ein mysteriöser Fluch liegt auf der jungen Liebe und macht diese unmöglich. Abends zum Date erscheinen zwar beide, aber ein Wiedererkennen ist aufgrund der neuen Gesichter unmöglich. Deprimiert versuchen sie, mit der seltsamen Situation und dem Fluch umzugehen, der sie nicht nur ihres Aussehens, sondern auch ihrer (beruflichen) Talente beraubt hat. Beide schlagen sich mit Gelegenheitsjobs durch, just im selben Cafe, in dem ihr erstes Date hätte stattfinden sollen. Während die erneute Annäherung von Lisa 2.0 und Giorgi 2.0 so lange dauert, wie Liebe auf den zweiten Blick eben braucht, beobachtet Koberdizes ziellose Kamera die kleinen Wunder des Alltags, die rund um das vorerst verhinderte Paar geschehen. Begebenheiten, die uns ansonsten entgehen: Der Film ist eine magische Ode an das Leben in seiner wunderbaren Schlichtheit, eingefangen in poetischen Bildern, deren Kraft in der Stille liegt.

Es sind dies banale Bilder und Situationen, denen der Regisseur eine beinahe transzendentale Faszination abringt, die sich – begleitet durch den allwissenden (Märchen-)Erzähler – wie ein Panorama öffnen, das stets das Große im Kleinen erkennt. Der Film ist auch ein Plädoyer für die Stille und Kontemplation, gemäß dem Satz „Life is what happens to you while you’re busy making other plans“ (Zitat aus John Lennons Song „Beautiful Boy“): Lisa und Giorgi haben andere Pläne, Sorgen, Gedanken, und trotzdem passiert um sie herum das ganz normale Leben, das wir alle und auch sie sonst so gerne ausblenden, ignorieren, und das doch so viel mehr zu bieten hätte/hat als nervige Rituale, sinnlose Begegnungen und Enttäuschungen – man müsste doch nur hinschauen. Und das macht Koberidze mit seiner Kamera.

"What do we see when we look at the sky?"

Sein völlig unprätentiöses und in höchstem Ausmaß filmisches Werk wirkt tröstlich in einer Zeit, in der uns alle alle möglichen Sorgen beschäftigen, die uns den Blick auf das Schöne noch mehr verstellen als dies schon in „normalen“ Zeiten der Fall ist. Wiederholt beklagt der Erzähler von „What do we see when we look at the sky?“ die Unmenschlichkeit und Kälte, die Indifferenz, die wir gegenüber unseren Mitmenschen (und anderen Mitgeschöpfen) an den Tag legen, er fragt: Ist es möglich, Gutes und Wahrhaftiges zu finden, in einer Welt, die geradezu am Abgrund steht? Die Antwort ist ein Ja, trotzdem: Das Gute, Schöne, Wertvolle gerade deshalb wahrzunehmen, da es so oft aus unserem Blickfeld verschwindet. Denn, so die Aussage des Films, es ist zu finden, immer, jederzeit, und noch in den kleinsten, banalsten Begebenheiten, Situationen, Begegnungen und Tätigkeiten.

Kaum gibt es Kritik, die man an diesem wunderbaren Film üben könnte, bemängeln kann man höchstens, dass das Finale nicht ganz so ausgearbeitet wurde, wie es möglich gewesen wäre, und so fehlt „What do we see when we look at the sky?“ der krönende Abschluss, der ihn zu einem wahren Meisterwerk hätte machen können: Natürlich, Lisa und Giorgi finden wieder zueinander (wie, wird hier nicht im Detail verraten), aber die „Auflösung“ kommt etwas zu prompt, zu kurz und ihr fehlt die magische Aura, die das Drehbuch bis dahin sichergestellt hatte.

Fazit:

Ein großes Werk, dem zumindest der Preis für die beste Regie gegönnt gewesen wäre: Regisseur Alexandre Koberidze schafft mit seinem erst zweiten Langfilm ein magisches, mystisches, wunderschönes Kunstwerk, das in höchstem Ausmaß filmisch ist und in seiner Schlichtheit glänzt wie eine Perle. Ein lebensfrohes und poetisches Plädoyer für die Hoffnung und das Leben – trotz allem: Der bisher wohl beste Film des Jahres 2021.

Bewertung:

Bewertung: 9 von 10.

(93/100)

Bilder: © Faraz Fesharaki/DFFB