Italien triumphierte beim 65. Eurovision Song Contest in Rotterdam: Die Rockband Måneskin setzte sich am Samstagabend mit der fetzigen Rocknummer „Zitti E Buoni“ gegen Konkurent/innen aus 25 Ländern durch. „Unser Sieg zeigt, dass der ESC kein kitschiges Musikevent ist, sondern, dass es wirklich um die Musik geht“, verkündete Leadsänger Damiano David.

von Paul Kunz

Den zweiten Platz belegte der französische Beitrag, ein bewegendes Chanson namens Voilà, ausdrucksstark performt bei reduzierter Bühnenshow von Barbara Pravi, während der Schweizer Gjon’s Tears sich mit der Pop-Powerballade „Tout l’Univers“ in himmelhohem Falsett auf den dritten Platz sang. Letzten Endes war es das europäische Publikum, nicht die Jury, das Italien samt sexy Rotleder-Outfits und oberkörperfreier Männer in High Heels bei leiwandem Rock-Sound via Televoting auf Platz 1 katapultierte. Für den österreichischen Kandidaten Vincent Bueno und den leider allzu banalen Song „Amen“ war allerdings schon im Semifinale Endstation.

Aber ansonsten gab es auch unter den Finalist/innen, die es nicht aufs Stockerl geschafft haben, heuer einige wirklich coole Songs. Dazu gehört der unter christlich-fundamentalistischen ESC-Zuseher/innen kontrovers rezipierte zypriotische Song „El Diablo“. Die Popnummer mit Lady-Gaga-Vibes sorgte für Aufregung, als eine orthodoxe christliche Bewegung gegen den Beitrag protestierte, da er blasphemisch sei. Ebenfalls cool waren die Isländer: die Synthie-Pop-Band Daði og Gagnamagnið in ihren kultigen grünen Pullis mit Pixel-Porträt-Aufdruck war wegen einer Covid-Erkrankung zwar nicht live dabei, die Aufzeichnung machte aber genauso Stimmung. Super war auch der russische Beitrag, ein feministischer Ermächtigungssong mit coolem Sound und noch coolerer Bühnenshow – der ermächtigt die russische Frau in jeder und jedem von uns.

Feminismus versuchte auch Maltas Kandidatin Destiny: Das kam bei den Länderjurys gut an (Platz 3), bei den Zuschauer/innen weniger. Deutschland setzte dagegen mit wenig Erfolg auf happy-peppy-Ukulelensound mit Anti-Hass-Botschaft und landete auf dem vorletzten Platz: nur die österreichische und die rumänische Jury schickte drei Punkte. Weniger Punkte – nämlich gar keine – erhielt lediglich der britische Beitrag. Bulgarien versuchte es mit einem faderen Billie-Eilish-Verschnitt und Norwegen mit einem angeketteten Mann in Engelskostüm und vier Dämonen.

Das Publikum schien begeistert vom Spektakel gewesen zu sein, denn auf dem Fernsehbildschirm spürte man die enorme Stimmung vor Ort – und das trotz Corona. Maskenlos und ohne Abstandsregeln füllten 3.500 Fans die ansonsten 16.000 Personen fassende Ahoy Arena in Rotterdam. Zugelassen waren nur niederländische Fans außerhalb der Risikogruppen mit personalisierten Tickets und Zutrittstests. Dass die Veranstaltung trotz Pandemie möglich war, lag aber auch daran, dass die niederländische Regierung den ESC zum Fieldlab-Event erkoren hat, das unter wissenschaftlicher Beobachtung durchgeführt wird. Ein riesiges Experiment also.

Aber auch vor dem eigenen Fernseher habe ich gemerkt: mir ist das sehr abgegangen im letzten Jahr. Das riesige Event, die Weirdness der Beiträge mit ihren aufmerksamkeitsheischenden Outfits und den entsetzlich schiefen Tönen der Live-Sänger/innen. Mit den Engelskostümen, den Billie-Eilish-Klons und den Anti-Hass-Botschaften. Gott sei Dank haben wir unser kitschiges Musikevent wieder.

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