Seneca lebte im 1. Jahrhundert nach Christus und galt und gilt als wichtigster Denker seiner Zeit, seine stoischen Ansichten wurden bis in den Gegenwart überliefert, auch retrospektiv betrachtet man ihn als einen der bedeutendsten römischen Philosophen. Sein Wirken beschränkte sich nicht nur darauf, auch als Dramatiker, Naturforscher, Politiker, sprich: Universalgenie machte er sich einen Namen. Sein Wissen gab er auch an Kaiser Nero weiter, als dessen “Berater” – polical consultant würde man heute sagen – er wirkte; Nero sollte als einer der grausamsten Herrscher der Antike in die Geschichte eingehen.
von Christian Klosz
Der deutsche, Hollywood-erfahrene Regisseur Robert Schwentke (“RED”, “Der Hauptmann“) verfilmte nun die letzten Tage und Stunden Senecas als trashiges, pulpiges Philosophie-Kammerspiel, das mehr über unsere Gegenwart erzählt als es an einer realistischen Darstellung der historische Figur Seneca interessiert ist. Der dient als “Folie”, auf dessen Hintergrund die universellen Schattenseiten und Verlockungen der Macht, der Mächtigen und ihrer “Speichellecker” karikiert und kritisiert werden. Zu diesem Zweck darf das Publikum Seneca knapp 2 Stunden lauschen, wie er seine Weisheiten von sich und weiter gibt, erst an Nero, dann an sein mehr oder minder interessiertes Publikum aus der römischen Elite, bis er am Ende selbst sein einziger Zuhörer ist.
Die Figur Seneca bietet sich für die intendierte Gegenwartskritik ideal an, denn sein eigenes, politisches Wirken und privates Leben standen oft in krassem Widerspruch zu seinen philosophischen Lehren, einer Ethik der Zurückhaltung und Milde. Der große Denker, faszinierend anwidernd dargestellt von John Malkovich, wird als narzisstischer Opportunist porträtiert, dem es zu guter Letzt vor allem um eigenen Einfluss und Ansehen geht. Ihm in den Mund gelegte Aussagen wie “I must have followers!” offenbaren seine Geltungssucht und schlagen eine kaum zu übersehende Brücke in die Gegenwart der Social Media-Selbstdarsteller, die ihre Messages, Agenden und Weisheiten bereitwillig, als Produkt, an jedes Publikum verkaufen, das bereit ist zuzuhören und zuzusehen.
“Seneca”, der Film, ist ein groteskes Schauspiel des schlechten Geschmacks (und das mit voller Absicht), die Mise-en-scène gleicht einer großen Theaterbühne, die Inszenierung ist überdreht und experimentell, in der Ausstattung vermischt sich antiker Chic mit postmodernen Props, die Überzeichnung trieft aus jeder Aufnahme, auch aus jedem Dialog. Und trotzdem ist dieser wilde, verrückte und geschmacklose Film nicht uninteressant. Denn seine Zeitgeist-Kritik trifft absolut ins Schwarze.
Kaiser Nero wird nur als “Mister President” angesprochen, ein ziemlich eindeutiger Hinweis, dass der Film von den Autoren auch als Abrechnung mit dem US-amerikanischen Trumpismus gedacht ist, und der übergewichtige Nero mit dem Gemüt und Verstand eines aufmerksamkeitsdefizitären Pubertierenden weist offenkundige Parallelen zum letzten US-Präsident auf. Aber auch bei allgemeineren Anspielungen auf die Zerstörung des Planeten, der Erde, der Gesellschaft, den Verfall von Werten, Moral und die “Normalisierung des Bösen” ist das Ziel klar.
Laut Regisseur Schwentke ist “Seneca” eine Abrechnung mit “Eliten” im Dunstkreis der Mächtigen. Jene also, die es sich in ihrem schönen Leben bequem gemacht haben und die Annehmlichkeiten von Macht, Geld und Einfluss genießen, während sie sich nach außen gern als Mahner, Kritiker, Besserwisser darstellen. Und, so der Filmemacher, mit deren immer wiederkehrender Überraschung, Ohnmacht, Hilflosigkeit, wenn Barbarei, Faschismus und Niedergang über eine Gesellschaft hereinbrechen, eine Kritik am Versagen und der Unfähigkeit dieser Eliten, solche Entwicklungen aufzuhalten oder sie zu verhindern – trotz ihres Einflusses – da sie mitunter selbst von diesen profitieren. Historisch gesehen habe es laut Schwentke solche Schichten und Klassen immer gegeben, aktuell trifft die Beschreibung wohl am besten auf das zu, was gemeinhin als “Bobo” bekannt ist. Und die Parallelen sind tatsächlich unverkennbar.
Fazit
“Seneca” ist eine schmerzhafte, überdrehte, aber treffende Gegenwartskritik, die einer zivilisierten Gesellschaft und deren “Eliten” den Spiegel vorhält, die absolut unfähig sind, drängende Fragen wie Klimakrise, Gesundheitskrise und Demokratiekrise zu lösen, weil sie zu sehr damit befasst sind, über den unabwendbaren persönlichen Verlust von Lebensqualität zu trauern und in egoistischer und narzisstischer Manier zu retten, was noch zu retten ist. Ein schräger Film, gewöhnungsbedürftig, aber nicht unklug und uninteressant. Seit 6.4. im Kino (Ö).
Bewertung
(66/100)

Bilder: © Filmgalerie451
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