Die “Opioid-Krise” wurde zum geflügelten Wort in vielen politischen Diskussionen der letzten Jahre in den USA: Wie eine Epidemie habe sich der Gebrauch und Missbrauch von verschreibungspflichtigen Opiaten in den Staaten in den letzten 30 Jahren ausgebreitet, so Tenor der Kritiker, die die Missstände durch schockierende Zahlen von hunderttausenden Toten und Millionen Abhängigen belegen können. Netflix widmet sich dem Thema und den Hintergründen der andauernden Krise in der beeindruckenden Mini-Serie “Painkiller”, die den dafür Hauptverantwortlichen ins Zentrum stellt: Pharmaunternehmer Richard Sackler und sein Unternehmen Purdue – und dessen “Erfindung” OxyContin, das “Heroin in Tablettenform”.
von Christian Klosz
“Painkiller” rahmt die Erzählung eines toxischen Erfolgsmodells durch die Schilderungen der Beamtin Edie Flowers (Uzo Aduba), die ihre Ermittlungserkenntnisse in Bezug auf das “System Purdue” in einer Befragung vor Staatsanwälten schildert. Flowers ist Bürokratin durch und durch, und in ihrem Auftreten nicht unbedingt sympathisch. Für Gefühle anderer hat sie keine Zeit und dafür auch kein Interesse, ihr eigener Antrieb ist aber durchaus emotionaler Natur: Ihr Bruder sitzt wegen Dealens mit Drogen im Gefängnis, sie konnte ihm nie verzeihen. Nun will sie Purdue Pharma das Handwerk legen, für sie nicht mehr als ein mächtiges Konglomerat an (legalisierten) Drogendealern, das alles tut, um Geld zu machen.
Auf der anderes Seite steht Dr. Richard Sackler (Matthew Broderick). Der Millionenerbe wird als charakterloser, im Grunde persönlichkeitsloser Opportunist gezeichnet, der von der Missachtung und Ablehnung seines verstorbenen Onkels getrieben ist.
Dann zeigt “Painkiller” auch die “kleinen Dealer”, also Pharmavertreterinnen, die nichts unversucht lassen, ihre Ärzte von der scheinbar hervorragenden und absolut harmlosen Wirkung von OxyContin zu überzeugen und sie – mit Aussicht auf fette Bonuszahlungen – dazu drängen, mehr und mehr ihres Stoffes an unwissende Patienten zu verschreiben, selbst in Erwartung riesiger Boni. Die Purdue-Kultur entwickelt sich zur Geldgrube für alle, die mitmachen, eine berauschte Party ohne Hemmungen, gebaut auf Verführung, Manipulation, Lügen und Zynismus, der schrittweise auch von denen Besitz ergreift, die anfangs davon überzeugt waren, Schmerzpatienten tatsächlich helfen zu können.
Denn die stehen am untersten Ende der Verwertungskette, die Hoffnungslosen, die all ihre Hoffnung in das neue “Wundermittel” setzten, das eine Weile tatsächlich half – bis die Abhängigkeit einsetzt, die Existenzen, Leben und ganze Familien zerstört.
“Painkiller” ist eine der wichtigsten Serien der letzten Jahre. Auf eindrückliche Weise schildert sie die Opioid-Epidemie in den USA, die Hintergründe, die Schicksale Betroffener – und das schlussendliche Platzen der Oxy-Bubble. Peter Berg, bisher nicht unbedingt bekannt für inhaltlich tiefgründige Stoffe, inszeniert die Serie temporeich, kantig, durchaus auch unkonventionell, wenn etwa verschwommene und verwackelte Aufnahmen dazu eingesetzt werden, den Rausch von schwer abhängigen Oxy-Nutzern zu verbildlichen. Das Skript von Micah Fitzerman-Blue und Noah Harpster ist stellenweise holprig, die Sprünge zwischen den verschiedenen Handlungsschauplätzen und -zeiten können es für manche Zuschauer etwas schwer machen, dem Plot zu folgen. Am Ende fällt dieses einzige, kleine Manko angesichts der Qualitäten der Serie aber nicht allzu sehr ins Gewicht.
“Painkiller” gelingt es ausgezeichnet, die korrupten, verlogenen Machenschaften eines zu mächtigen Unternehmers kritisch darzustellen, eines Egoisten, Narzissten, Soziopathen, die Mechanismen dahinter offenzulegen, wie wissentlich mit Ignoranz, Lügen, Verzerrungen und “alternativen Fakten” operiert wird, um “die eigene Haut zu retten” und immer noch mehr Geld anzuhäufen. Wie Verantwortliche, Ärzte, die Öffentlichkeit und vor allem Betroffene belogen werden, ihnen Dinge als “Heilsversprechung” verkauft werden, die am Ende im Desaster enden müssen: Der kolossal gescheiterte und zum endlosen Alptraum mutierte American Dream. Die zentralen Themen und Messages von “Painkiller” sind sowohl universell – als auch hochaktuell.
Als im Finale Richard Sackler von der imaginären Manifestation seines Onkels, die immer wieder in seinem Bewusstsein (und für die Zuschauer als Filmfigur) auftaucht, der immer schon wusste, was wirklich hinter seinem Neffen steckt (ein zynischer Menschenfeind ohne Gewissen), (fiktiv) verprügelt wird, weil er, Richard, den Namen Sackler zerstört habe, kann man nicht anders, als den schmerzverzerrt und blutend am Boden Liegenden mit einem gewissen befriedigenden Wohlwollen zu betrachten. Es ist eine Form fiktiver, filmischer Gerechtigkeit, für die “Painkiller” sorgt, die die Macht dieses Mediums eindrucksvoll demonstriert.
Fazit
Temporeich, wild, holprig, aber am Ende gelungen, sehenswert und vor allem enorm wichtig: “Painkiller” nimmt eine der zentralen Krisen der US-amerikanischen Gesellschaft in den Fokus, dokumentiert die Hintergründe ihrer Entstehung, kritisiert. Und gibt auch dem tragischen Schicksal Betroffener Raum, deren Angehörige am Beginn jeder der 6 Episoden eindrücklich ihren unermesslichen Schmerz schildern dürfen.
Bewertung
(95/100)
Bilder: (c) Netflix