Elvis Presley gilt weithin als der “King of Rock’n’Roll”. Zu beweisen, dass das nur bedingt stimmt, nimmt sich diese erhellende Dokumentation zur Aufgabe, die im Rahmen des Melbourne International Film Festivals zu sehen ist.
von Christian Klosz
Denn der eigentliche King, Urheber, “Architekt” sei Richard Wayne Penniman, besser bekannt als “Little Richard” – der das im Übrigen selbst so sieht. Und aufgrund des hier Präsentierten damit wohl nicht so falsch liegt.
“I Am Everything” zeichnet den Aufstieg von Little Richard detailliert nach, fühlt seinen Anfängen in schwarzen Underground-Clubs nach und begleitet diese ungewöhnlich komplexe Persönlichkeit bei ihren ersten Mainstream-Erfolgen, bis sie zum Poster-Boy einer widerständigen, wilden, revolutionären Jugendkultur, die dem konservativen Nachkriegsamerika das Fürchten lehrte, wurde. Der Protagonist erscheint als widersprüchlicher Charakter, der zwischen hemmungslosen (sexuellen) Trieben und Gottesfürchtigkeit hin- und hergerissen ist, sich davon offenbar aber nicht zerreißen lässt.
Seine früher Drag-Auftritte sind ebenso Teil seiner Geschichte wie das flamboyante, exzentrische Erscheinungsbild zu Zeiten von “Tutti Frutti”, eigentlich einem Song über Analsex, der lyrisch glattgebügelt werden musste, wie wir erfahren dürfen. Auch dazu gehört seine von ihm initiierte Ehe mit einer damals noch minderjährigen Frau, obwohl alle Welt dachte, er wäre schwul. Und sein Bruch mit seiner früheren Persona, als er nach dem Drogen-Tod seines Bruders zum christlichen Gelehrten wurde, der nur noch Gospel-Songs von sich gab und dem “Auftrag Gottes” folgen wollte.
Diese konträren Phasen wechseln sich in der Vita des Little Richard stetig ab. Er weiß selbst nicht, “was” er eigentlich ist – warum der Titel “I Am Everything” ausgezeichnet passt. Die verschiedenen Facetten dieses Ausnahmekünstlers offenbaren sich in Interviews, in denen er etwa davon spricht, sein ganzes Leben lang “gay” gewesen zu sein, aber nun nicht mehr, weil Gott eben “Adam and Eve” geschaffen habe und nicht “Adam and Steve”. Und trotzdem wirkt nichts davon unauthentisch, sondern vielmehr als Ausdruck einer Persönlichkeit, die mehrere Leben in einem gelebt hat.
“Little Richard: I Am Everything” ist das sehenswerte Porträt der Anfänge des Rock’n’Roll, eines herausragenden und prägenden Künstlers und einer enorm komplexen Persönlichkeit, deren Message simpel ist: Be what you are.
Rating: 76/100
“Little Richard: I Am Everything” ist im Rahmen des MIFF zu sehen, das einen Teil der Programmauswahl auch in online stattfindenden Festivalscreenings zeigt. Noch bis inkl. 27.8. sind die Filme (inkl. diesem) zu sehen.
Bild: (c) MIFF