Roger Stone galt lange Zeit als „Fixer“, als puppet master hinter Donald Trump, ja, als dessen (politischer) Erfinder, zeitweise auch in offizieller Position als Wahlkampfmanager/berater. Die eindrückliche Dokumentation „A Storm Foretold“ begleitet Stone von den letzten, chaotischen Monaten von Trumps Präsidentschaft über die „Capitol Riots“ im Jänner 2021 bis hin zu den Wochen und Monaten danach.

von Christian Klosz

In der 2017 erschienene Netflix-Doku „Get me Roger Stone“ erscheint dieser Protagonist als opportunistischer, durchaus gerissener Zyniker, als politischer Trickser und Trickster, der genau weiß, was er tut, um zu bekommen, was er will. Man könnte ihm da noch eine gewisse Distanz zu dem dreckigen Spiel, das er spielt, attestieren, ihn als fragwürdigen Charakter mit fragwürdigen Methoden betrachten, der trotzdem etwas Faszinierendes an sich hat, und sei es nur seine Intelligenz, mit der er andere (auch Donald Trump) nach seiner Pfeife tanzen lässt.

„A Storm Foretold“ hingegen zeigt den Verfall und Niedergang des Roger Stone, das Aufkommen der Dämonen, die er (und andere) gerufen hatte(n) – und die Unmöglichkeit, ihnen zu entrinnen.

Die Geschichte beginnt in der zweiten Hälfte der Trump-Präsidentschaft. Stone wird von den US-Behörden festgenommen und verurteilt – es geht dabei um die „Russland-Affäre“, in die er sich verstrickt und in der er sich schuldig gemacht hatte. Stone könne sich retten, indem er Trump verraten würde, heißt es damals, er bleibt jedoch standfest – weil er auf eine Begnadigung des Präsidenten hoffen kann. Die bekommt er schließlich auch als Belohnung für seine Loyalität. Im Gegenzug und als „Dankeschön“ setzt Stone bereits im Vorfeld der US-Wahlen 2020 Gerüchte über eine „gestohlene Wahl“ in Umlauf, um für die erwartbare Niederlage Trumps kommunikativ vorzubauen.

Es kommt, wie es kommen musste: Donald Trump verliert die Wahl krachend und muss das Feld räumen. Nach langem Hin-und-Her gibt er Anfang Jänner 2021 die berüchtigte Rede in Washington D.C., wo er seine Anhänger zum Marsch aufs Kapitol anstachelt, der schließlich die USA an den Rande eines politisches Kollaps bringen sollte und zu mehreren Toten führte.

Roger Stone ist die ganze Zeit in der Stadt. Bis dahin loyal hinter Trump stehend, sollte er selbst eine Rede vor dessen Auftritt halten. Ohne es zu wissen wurde er jedoch ausgeladen, was Stone erst noch mit Sarkasmus quittiert, der sich allerdings immer mehr zu Wut und Enttäuschung aufbaut.

Und das ist auch der erhellendste Moment in „A Storm Foretold“, der das ganze Stone-Kartenhaus aus Lügen und alternative facts, von denen der Urheber selbst natürlich weiß, dass sie falsch sind, ins Wanken und Einstürzen bringt, zumindest für einige Sekunden, und zwar durch Stone selbst: Enerviert und wütend schimpft er über Trump und dessen „dilettantische“ Entourage, seine Berater und unfähigen Manager, die keine Ahnung hätten, kindisch und amateurhaft arbeiten würden – „that’s the reason why they lost“. Bumm. Ja, Roger Stone sagt hier auf Kamera, dass Trump die Wahl verloren hat. Dass er das wisse, und auch wisse, warum. Hier ist er für einige Sekunden er selbst, ehrlich, spricht die Wahrheit aus. Und entstellt damit sein ganzes, zynisches Polit-Konzept zur Kenntlichkeit, einen nihilistischen Machiavellismus, der alle Mittel heiligt, dessen einziges Ziel Macht und Machterhalt ist, um jeden Preis, koste es, was es wolle, selbst die Wahrheit.

Dass der Erfinder der Politikers Trump und einer seine engsten Berater, der Urheber der „stop the steal“-Bewegung, hier auf Kamera zugibt, dass Trump die Wahl 2020 verloren hat, er das weiß (und dennoch das Gegenteil behauptet) ist ein großes Ding. Man stelle sich vor, Trump-Supporter würden diesen Ausschnitt sehen und seine Tragweite erkennen. Oder Donald Trump würde Wind davon bekommen.

Roger Stone selbst ist in den Monaten vor dem Kapitol-Sturm dabei zu beobachten, wie er sich verändert. Von dem ironischen, berechnenden, souveränen, durchaus humorbegabten Dandy ist nicht mehr viel übrig; er radikalisiert sich. Wird immer wütender. Die gespielte public persona verschmilzt mit echten Emotionen, mit Enttäuschung, Zorn, die Rolle entgleist zunehmend. Auch die Mimik. Spannungen zeichnen sich in Stones Gesicht ab, in der Gestik, dem Trickser gehen die Tricks aus, er fühlt sich betrogen, fordert schließlich sogar die Amtsenthebung Trumps, bricht mit ihm. Nach den Riots, nach dem offenbaren Bruch Trumps mit Stone wird er immer erratischer, unkontrollierter. Seine kalkulierten Lügen, bisher oft von Erfolg gekrönt, werden von der Realität eingeholt, etwas Wahres, Echtes drängt bei ihm körperlich sichtbar nach außen. In diesen Momenten, beim Zuschauen nur schwer erträglich, wirkt Roger Stone dann für Sekunden authentisch und echt. Die Person, die sich hinter dem politischen Dandy und Selbstdarsteller verbirgt, kommt zum Vorschein.

Die Frage bleibt unbeantwortet, was Roger Stone dazu bewog (und inzwischen wieder bewegt), sein professionelles Leben mit dem Verkauf berechnender Lügen zu verbringen. Inzwischen tritt er bekanntlich wieder als Fürsprecher Trumps für die Wahl 2024 auf. Trotz des damaligen Bruchs, trotz der Beschimpfungen und Verwünschungen. So bleibt er bis zum Ende ein schwer zu durchschauendes Enigma, dessen sorgfältig konstruierte public political persona hier riesige Risse bekommt.

Fazit

„A Storm Foretold“ ist politischer Film von seiner besten Seite und unverzichtbare filmische Lektüre für alle, die wissen und verstehen wollen, was in den Hinterzimmern der amerikanischen Politik der letzten Jahre geschah, wie das Phänomen Trump gemacht wurde, gelenkt wurde, ja: selbst belogen wurde. Ein wichtiger, technisch einwandfrei gemachter, aufklärerischer Film mit hoher Brisanz, der Antworten gibt, aber am Ende auch Fragen offen lässt: Wer ist dieser Roger Stone nun wirklich? Was treibt ihn an? Und wie wird man ihn und die Roger Stones dieser Welt wieder los?

Bewertung

Bewertung: 8 von 10.

(84/100)

Der Film wurde im Rahmen des Melbourne International Film Festival gesehen, das zwischen 3. und 27. August stattfand. Ein Teil des Programms war auch online verfügbar.

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Bildquelle: MIFF