Um aus dem mannigfaltigen Potpourri der Steamingangebote herauszustechen, ist Kreativität gefragt. Nicht, dass Wes Anderson diese nicht eh schon in den schrulligen Elementen seiner Werke ausleben würde, aber zur Abwechslung bringt der US-Amerikaner nun gleich vier Filme gleichzeitig heraus. Zugegeben, es gibt jeweils einen Tag Versatz und es handelt sich um Kurzfilme, basierend auf einer Sammlung des Waliser Roald Dahl, dessen Name womöglich nicht so bekannt ist – wohl aber einige seiner Geschichten. Beispielsweise zeichnet er sich verantwortlich für „Charlie und die Schokoladenfabrik“ oder „Hexen Hexen“. Es ist auch nicht das erste Mal, dass sich die Wege der beiden kreuzen, denn schon 2009 adaptierte Anderson mit „Der fantastische Mr. Fox“ eine der Vorlagen Dahls.

von Cliff Lina

Nun präsentiert Netflix, beginnend mit „Ich sehe was, was du nicht siehst“, einen Ausschnitt aus Dahls gesammelten Werken, die allesamt aus dem gleichnamigen Sammelband stammen, was durchaus für Verwirrung sorgt, da der erste Kurzfilm eben nur eine Geschichte von vielen abbildet. Diese handelt vom wohlhabenden Henry Sugar, der nicht nur viel Geld, sondern auch viel Freizeit besitzt und sich gerne ausgiebig den Dingen widmet, die ihn noch reicher machen. Als er eines Tages von einem Mann liest, der mit geschlossenen Augen sehen kann, setzt er alles daran diese Technik zu erlernen um bei zukünftigen Casinobesuchen das Etablissement stets als Gewinner zu verlassen.

Es dauert ein wenig bis sich die Sinnesorgane auf „Ich sehe was, was du nicht siehst“ eingestellt haben. Der permanente Dialog, ummantelt von pausenlos ausgetauschten Kulissen und die in diversen Rollen auftretenden Akteure fordern den Geist und entfalten sich mehr und mehr zu einer motivierenden und schönen Geschichte, ganz ohne Bösewicht oder böser Absichten. Die geradlinigere Erzählung tut gut und sorgt augenblicklich dafür, dass Anderson eher an seine großen Erfolge, und nicht an neuerliche Enttäuschungen erinnert. Eine zauberhafte halbe Stunde, dessen Sichtung sich durchaus lohnt. (7/10)

Geschichte Nummer 2 hört auf den klangvollen Namen „Der Schwan“ und bringt uns die Geschichte eines Jungen näher, der sich zwei Widersachen gegenübersieht. Dabei taugt sie Paradebeispiel für die Macht des Wortes, besitzt sie doch nicht viel mehr als die aneinandergereihten Buchstaben um der Leidensfähigkeit eines kleinen Junge Ausdruck zu verleihen. Eine fiese und makabre Story mit komplett anderer Tonalität, jedoch auch nicht frei von Tapferkeit und Hoffnung, die es schafft in wenigen Minuten eine spannende Dramatik zu kreieren, die sich nachempfinden lässt und wie im Flug vergeht – es sei denn man ist ein Schwan. (8/10)

Auch der dritte Teil der Sammlung hat einen animalischen Hintergrund. Zum Anschauungsmaterial für Kammerjäger in der Ausbildung wird es für „Der Rattenfänger“ wohl nicht reichen, ebenso wenig für einen Eintrag in das Buch der Stadt Hameln. Und doch: Andersons dritter Streich punktet mit einer absurden Geschichte, schöner Metaebene und einem Ralph Fiennes in Höchstform. Damit fängt man zwar am Ende keine Mäuse, aber zumindest ein paar Punkte. (6/10)

Abschließend präsentiert Anderson mit „Gift“ die womöglich simpelste Kurzgeschichte seines Quartetts, beschränkt sich auf einen Raum für die Handlung, labt sich an seiner theaterähnlichen Inszenierung, hat aber auch ein Ass im Hosenbund: den unverhofften Ausbruch aus seiner so typischen Optik. Der wirkt beinahe bedrohlich und lässt die Story auf einer rauen Note enden. Besonders Cumberbatch brilliert als permanent angespannter Bettbewohner, sodass am Ende gar zur Debatte steht wer die eigentliche Giftspritze ist. (7/10)

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