David Fincher ist zurück: Seit gestern ist sein neuester Film „The Killer“ auf Netflix zu sehen. Darin spielt Michael Fassbender überragend präzise und minimalistisch einen Auftragskiller, bei dessen Auftrag etwas gehörig schief geht (er erwischt die Falsche). Das starre, geradezu zwanghaft kontrollierte Konstrukt aus Glaubenssätzen, Rationalisierungen und Selbstbetrug, das des Killers „Berufsethos“ formt, nach dem er stets operiert, bekommt Risse, die gekittet werden sollen. Umso mehr, nachdem die Auftraggeber es auch auf die Partnerin des Killers abgesehen haben.

von Christian Klosz

Mantraartig und über den ganzen Film hinweg hören wir aus dem Off die Stimme des Killers / Fassbenders, der immer wieder die selben Sätze wiederholt: Empathie ist Schwäche. Antizipation statt Improvisation. Folge dem Plan. Keine Abweichung. Dadurch soll jegliches sich aufbäumende Gewissen von vornherein im Keim erstickt werden. Geradezu wie ein Uhrwerk führt der Killer sein Tötungswerk aus und erinnert damit auch Michaels Manns Tötungs-Perfektionisten, die in ihrer Tätigkeit nichts anderes als Handwerk sahen, das mit höchster Präzision auszuführen ist – wie etwa der überragende Tom Cruise als Auftragskiller in „Collateral“. Doch ungleich diesem entfernten Verwandten bekommt Finchers Killer vorerst nicht, „was er verdient“. Darin offenbart sich abermals geradezu schmerzhaft Finchers bekannter Nihilismus, der gegen Ende von „Der Killer“ zum möglichen Problem wird.

Auch sonst gibt es klare Parallelen zum bisherigen Œuvre des Regisseurs: An „Fight Club“ erinnert nicht nur die Stimme aus dem Off, die die Handlung erklärt, erläutert, ergänzt, sondern auch die Struktur der Erzählung. Im Zentrum steht hier wie dort ein desillusionierter Mann als Teil dessen, was man Spätkapitalismus nennt. Doch während der Protagonist in „Fight Club“ – über den Umweg des Wahnsinns – aus dem Hamsterrad ausbrechen will, den Aufstand gegen seine Umgebung versucht, erscheint der Killer vielmehr als ideale Verkörperung derselben, als idealer „Posterboy“ eines Systems, das einzig auf Geld, Nutzen und Funktion ausgerichtet ist, in dem der überlebt, der am skrupellosesten, kalkuliertesten und „rationalsten“ handelt. Der Killer hat das System internalisiert, kämpft nicht dagegen an, wird zur Personifikation einer Logik der kalten Effizienz, die sein Überleben sichern und das anderer vernichten soll. Er erscheint dabei weder attraktiv, noch besonders oder außergewöhnlich, sondern erschreckend normal. Passend dazu darf er gegen Ende einen Satz von sich geben, der seinem Schicksal Bedeutung geben soll: „I am not one of the few. I am one of the many.“

Versteckt sich hinter dem Fincher’schen Zynismus also doch so etwas wie Gesellschaftskritik? Hält uns der Filmemacher hier den Spiegel vor, uns, allen, den „vielen“, die im Alltag nur Varianten von Kopien kalkulierender, egoistischer, empathieloser und auf den eigenen Vorteil bedachter Individuen sind? Man möchte es fast hoffen, denn ansonsten wäre „Der Killer“ wirklich schwer erträglich, da sein Protagonist keine Entwicklung durchmacht, keine Reue zeigt, nicht einmal Zweifel hegt. Er ist ein schwarzes Loch.

Der Killer: Illusionsloser Zynismus oder schmerzhafte Gesellschaftskritik?

Nachdem der ursächliche Auftrag, bei dem ein Geschäftsmann liquidiert werden soll, schiefgeht, die Auftraggeber der in der Dominikanischen Republik lebenden Frau des Killers einen eher unfreundlichen und blutigen Besuch abstatten, um ihre Spuren zu verwischen, wird der Killer zum eiskalten Racheengel. Die Irritationen in seiner gewohnten, kontrollierten Welt werden größer, er versucht sie mit derselben, ihm eigenen Präzision zu glätten, dessen kurzzeitige Abwesenheit das Malheur und die folgende Abweichung von Plänen überhaupt erst verursacht haben, sprich: Er räumt alle aus dem Weg, die mit dem Fall zu tun hatten. Dabei wirkt es fast so, als ginge es ihm wirklich weniger um Rache für die Geliebte (ein Zeichen von Gefühl, Empathie?), sondern vor allem darum, die Kontrolle wiederzuerlangen und seinen Fehler auszumerzen, koste es, was es wolle (Menschenleben).

Rein formal betrachtet ist „Der Killer“ nahe am Meisterwerk: Fincher legt bei der Inszenierung dieselbe Präzision an den Tag wie sein Protagonist, der dramaturgische Minimalismus gibt der erzählerischen Klammer Klarheit, lässt aber auch genug Raum für inhaltliche und philosophische Interpretationen (siehe oben). Michael Fassbender entpuppt sich als Idealbesetzung: Keine Regung, kein Zucken entkommt ihm (bis zum Ende), nie verliert er die Kontrolle, nie entgleist die Mimik, er bleibt ebenso undurchschaubar wie abstoßend. Ergänzt wird der Film durch abermals hervorragend komponierte Soundlandschaften von Trent Reznor. Und durch jede Menge „The Smiths“-Songs, die der Killer bei seiner Arbeit am liebsten hört. Eine weitere menschliche Regung? Darf eine menschliche Tötungsmaschine eine Lieblingsband haben?

Fazit

„Der Killer“ ist ein formal minimalistisches, aber inhaltlich dichtes Werk, erstklassig inszeniert, das das Potential hat, mit der Zeit zu wachsen und in einigen Jahren – so wie „Fight Club“ für das „Millenium“ – als einer der prägenden Filme einer Epoche (der sich im Zerfall befindliche Spätkapitalismus) zu gelten.

Bewertung

Bewertung: 9 von 10.

(94/100)

Bilder: Netflix ©2023