Ein in der zweiten Republik nie dagewesener Skandal erschütterte die letzten Tage die österreichische Innenpolitik, auch der Rest der Welt schaute mit einer Mischung aus Faszination, Schadenfreude und Abscheu zu: Der ehemalige Vizekanzler H.C. Strache wurde mit seinem Anhängsel Johann Gudenus dabei gefilmt, wie er Österreich an eine (vermeintliche) russische Oligarchennichte verscherbeln wollte, die größte Tageszeitung des Landes kaufen wollte, eine Medienlandschaft „wie bei Orban“ installieren wollte, und allerlei weitere dumme bis gefährliche Dinge von sich gab.

Seine Aussagen in den Tagen darauf deuten nicht nur darauf hin, dass er wohl immer noch nicht verstanden hat, worum es hier eigentlich geht, sondern auch auf einen psychischen Ausnahmezustand, der nach Phasen der Hybris nicht ungewöhnlich ist: Verleugnung, Ausreden, Abschieben der Verantwortung, Relativierung, Täter-Opfer-Umkehr; was nicht sein darf, kann nicht sein, die Reflexion des eigenen Versagens in den Scherben der Existenz wird verkannt und verleugnet. Das ist menschlich verständlich und nachvollziehbar, aber politisch nicht ungefährlich.

Was übersteigerte Egos anrichten können, lässt sich aber nicht nur immer wieder in der politischen Arena beobachten, auch die Filmgeschichte bietet vielfältige Möglichkeiten, Geschichten von Aufstieg und Fall, von Hybris und Wahn zu entdecken. Nicht selten sind es (gebrochene) männliche (nicht immer, aber oft) Über-Egos, die drohende Bedeutungslosigkeit durch manisches Verhalten abzuwenden suchen. Im folgenden sollen einige besonders sehenswerte Beispiele vorgestellt werden, die zur ergänzenden „filmischen Lektüre“ zu „Ibiza-Gate“ dienen können.

Update 9.10.2021: Wer hätte ahnen können, dass dieser Beitrag knapp 2.5 Jahre später wieder aktuell wird? Mit Blick auf die derzeitigen Vorgänge in der österreichischen Innenpolitik und der Kanzlerpartei muss man sich wundern, was alles möglich ist.

von Christian Klosz

„Steve Jobs“ von Danny Boyle, 2015

Beginnen wir mit einer besonderen Ausprägung der Hybris, einen „kalten“ Form narzisstischer Selbstüberschätzung im beruflichen Kontext, die mitunter gar positive Nebeneffekte haben kann: Über die Persönlichkeit Steve Jobs‘ wurde bereits vieles gesagt, und vieles davon ist auch in diesem ungewöhnlichen Biopic zu sehen. Der Apple-Gründer wird als egozentrisch und emotionslos, größenwahnsinnig und soziopathisch gezeichnet, ohne Gespür für soziale Zusammenhänge und Kommunikation, für seine Mitmenschen, nicht einmal für seine eigene Tochter. Alles wird dem (kreativen) Gewinnstreben untergeordnet, ständige Selbstüberschätzung gepaart mit einem hohen Intellekt kann aber durchaus auch Positives hervorbringen, wie die Karriere des Steve Jobs zeigt. Besonders in diesem Fall ist, wie erwähnt, diese rationale, „kalte“ Form der Hybris, die stets logisch und nachvollziehbar wirkt, aber ebenso fatale Auswirkungen auf das soziale Umfeld hat.

Robert de Niro in „Casino“

„Casino“ von Martin Scorsese, 1995

Was die Darstellung megalomanischer Egos betrifft, ist Martin Scorsese eine der Top-Adressen. Was viele seiner Filme von anderen ähnlichen Inhalts abhebt, ist die schlussendlich doch zutiefst humanistische Grundhaltung, sein „mitfühlender Realismus“, der so darstellt, wie es ist, nichts beschönigt, aber nie verurteilt: Er sieht stets das Individuum hinter dem Drama, die persönliche Tragödie in der universellen, und gibt uns so zu verstehen, dass es auch uns „treffen könnte“, dass die Schurken dieser Welt doch gar nicht so viel anders sind wie wir.

In „Casino“, dem dritten Teil seiner „Mafia-Trilogie“ (auch die anderen beiden Teile, „Hexenkessel“ und „Good Fellas“ könnten hier angeführt werden), zeigt Scorsese, wozu Größenwahn gepaart mit obsessivem Kontrollzwang führen kann: Protagonist Sam Rothstein wird zum Casino-König von Las Vegas, da er seine Affekte besser unter Kontrolle hat als seine Mafia-Kollegen. Der gnadenlos Trieb nach Gewinn, die Gier nach Besitz, Macht und Geld lässt schließlich aber auch ihn über seine eigenen Ambitionen stolpern, die ihn dort enden lassen, wo er begonnen hat: Als kleiner Gambler, der sein Geld mit Wetten auf Pferderennen verspielt. „Casino“ ist die ultimative Geschichte von Aufstieg und Fall, Porträt eines pervertierten American Dream, der sich selbst ad absurdum geführt hat.

„Scarface“ von Brian de Palma, 1983

Ein unbestrittener Klassiker des Gangster-Films, Vorbild für die Hip Hop-Kultur, und dabei ein Remake eines alten Stoffes, der bereits 1932 für Aufsehen sorgte: De Palma und Drehbuchautor Oliver Stone verlegen den Ort der Handlung von Chicago nach Miami, machen den Protagonist zu einem kubanischen Einwanderer namens Tony Montana, und statten ihn mit einer gehörigen Portion an krimineller Energie und Wahnsinn aus. Der Hass auf das kommunistische System in der Heimat kombiniert mit den Versprechungen des „American Dream“ lassen ihn zum Ikarus der Drogenmafia Miamis aufsteigen, bis sein Traum von Geld, Macht und Sex in einer Wolke aus Kokain und einem tödlichen Kugelhagel endet.

„Scarface“ ist die klassische Geschichte von Aufstieg und Fall, von wahnhafter Hybris, übersteigertem Machogehabe und einem megalomanischen Ego, die so endet, wie solche Geschichten immer enden: Mit Schrecken, Zerstörung und Zerfall. Al Pacino brilliert in der Hauptrolle, während Giorgio Moroder einen der besten Soundtracks der 80-er beisteuert. Bei aller intendierter Kapitalismuskritik ist „Scarface“ auch höchst unterhaltsames Kino.

Al Pacino als „Scarface“

„Molly’s Game“ von Aaron Sorkin, 2017

Übersteigerte Egos, Selbstüberschätzung – typisch männliche Eigenheiten? Mitnichten. Jessica Chastain zeigt in Aaron Sorkins Regie-Debüt als Molly Bloom (basierend auf einem real life-Charakter), dass sich auch Frauen zu riskanten Gipfelstürmen hinreißen lassen. Bloom, überdurchschnittlich intelligent und talentiert, muss nach einer Verletzung ihre Skisport-Karriere an den Nagel hängen. Neben dem Studium verdingt sie sich als Assistentin eines Organisators von halb-legalen Underground-Pokerspielen, der prominenten Spielern das Geld aus der Tasche zieht. Nach einem Konflikt macht sie sich selbstständig, und managt ab nun ihre eigenen, elitären und exklusiven Pokerrunden. Doch diese Existenz am Rande der Legalität fordert ihren Tribut: Drohender (finanzieller und persönlicher) Ruin, Drogenmissbrauch, und immer zwielichtigere „Kunden“ bringen das FBI auf ihre Fährte – bis sich dieses Leben im Schatten nicht mehr aufrechterhalten lässt.

Neben dem für Sorkin typisch hohen Tempo, schnellen Schnitten und Dialogfeuerwerken ist es vor allem die Leistung von Jessica Chastain, die „Molly’s Game“ so sehenswert macht. Sie brilliert als kluge und toughe Frau, die von ihren eigenen Ambitionen überdribbelt wird. Ein Unterschied lässt sich – bei allen Parallelen zu ihren männlichen Himmelsstürmer-Kollegen – aber dennoch ausmachen: Bloom besitzt die Fähigkeit zur Selbstreflexion und -erkenntnis, die den tiefen Fall etwas abfedert.

„Wolf of Wall Street“ von Martin Scorsese, 2013

Eine grandiose (Ver-)Fallgeschichte: Ein filmischer Fiebertraum, der nahezu alles in den Schatten stellt, was man zuvor an Exzessen auf der großen Leinwand gesehen hatte. Ein dreistündiger Rausch aus Drogen, Geld, Sex und Manie, geleitet vom amerikanischen Ideal von „mehr ist besser“ und „alles ist am besten„, ein hemmungsloser Abgesang auf die Dekadenz des westlichen Kapitalismus, der durch seinen schonungslosen Realismus umso schockierender ist.

Warum Scorsese hier ein zweiter Mal genannt wird, hat – neben einer persönlichen Vorliebe – mit dem schon zuvor Gesagten zu tun: Kaum einem anderen US-Regisseur gelangen wiederholt derart treffende Sittengemälde der „dunklen Seiten“ der amerikanischen Gesellschaft, der Schattenseiten des „American Dream“, die sich sowohl durch Offenheit und Faszination für das Sujet, Verständnis für die Protagonisten, als auch Kritik auszeichnen. In „Wolf of Wall Street“ trifft es Jordan Belfort, den „Wolf der Wall Street“, der es in den 80-ern und 90-ern durch Lug, Betrug und Gerissenheit zu Gewinnen in Millionenhöhe brachte. Scorsese enttarnt Belfort als Hochstapler, dem kein noch so verwerflicher Trick zu schade ist, seine Ziele zu erreichen. Gleichzeitig zeichnet er ihn auch als larger than life – Charakter, dem man auch eine gewissen Sympathie ob seines Mutes zum anarchischen Exzess entgegenbringt. Am Ende kommt – no na – der unvermeidliche Fall, und auch der Zuschauer, der diesen erstklassigen Trip erste Reihe fußfrei mitmachen durfte, fühlt sich wie am Tag nach einem heftigen Rausch.

Der „Wolf of Wall Street“

Außerdem zu empfehlen sind folgende Filme: „American Hustle“ (2013), „There will be Blood“ (2007), „Catch me if you can“ (2002), „Aviator“ (2004), „Im Auftrag des Teufels“ (1997)

Wer Interesse an den psychologischen Hintergründen hat, dem sei dieses interessante Interview mit dem österreichischen Gerichtspsychiater Reinhard Haller ans Herz gelegt: Psychiater Reinhard Haller über Ibiza: „Narzisstischer Höhenrausch“